Machtkampf
Rauschen des Wassers jedes andere Geräusch übertönte?
Der Leitende Oberstaatsanwalt Schwehr hatte sich persönlich eingeschaltet. Längst war der Tod des Kindes auch von den Medien aufgegriffen worden. Der Ulmer Sender radio7 hatte als Erster die Frage in den Raum gestellt, ob ein Zusammenhang mit der Anschuldigung des Pfarrers bestehen könnte.
Georg Sander war nach seinen nächtlichen Recherchen am Brandort nur kurz daheim gewesen und dann sofort in die Redaktion geeilt, um dem Sonntagsdienstler beiseite zu stehen. Der Großbrand mit den verheerenden Folgen würde die komplette erste Lokalseite der Montagsausgabe füllen. Mehrmals wurde Sander bei seiner weiteren Telefonrecherche von den Anrufen auswärtiger Journalistenkollegen gestört. Einige von ihnen wollten wissen, ob die Mutter und ihr getöteter Sohn türkischer Abstammung seien. Sobald irgendwo ein Haus niederbrannte, ging reflexartig die allgegenwärtige Vermutung um, es könne ein Brandanschlag mit fremdenfeindlichem Motiv gewesen sein. Doch obwohl Sander dies sofort guten Gewissens verneinen konnte, waren manche Anrufer hartnäckig und hakten nach, ob es denn in Rimmelbach rechtsextreme Tendenzen gebe und wie hoch der Ausländeranteil in diesem kleinen Ort sei. Sander versicherte, dass er von extremen Umtrieben in der Gegend nichts gehört habe und er nur von einem einzigen Ausländer wisse – und dabei handle es sich um einen jungen russischstämmigen Mann, der aber offenbar bestens integriert sei und außerdem im Nachbarort Böhmenkirch wohne.
»Und welche Rolle spielt der Pfarrer?«, fragte jetzt die Kollegin eines großen Boulevardblattes. »Der hat doch den Buben sexuell missbraucht.«
Sander wusste, dass er jetzt zurückhaltend sein musste. Wie immer in solchen Fällen, war der Lokaljournalist ein wichtiger Ansprechpartner auswärtiger Medien, wenn’s um Orts- und Personenkenntnisse ging. Sander formulierte seine Antwort vorsichtig: »Ob sich das tatsächlich so abgespielt hat, ist noch völlig unklar. Es gibt nur die Aussage des Kindes. Wie weit da die Ermittlungen gediehen sind, weiß ich im Moment nicht.«
»Aber der Oberkirchenrat hat ihn doch rausgeschmissen.«
»Nur vorläufig beurlaubt«, gab Sander genervt zurück und wurde sofort von der schrillen Frauenstimme unterbrochen: »Weiß man denn, wo der jetzt ist?«
»Er ist vorläufig weggezogen, aber ich hab keine Telefonnummer«, versicherte Sander.
Die Anruferin beendete das Gespräch leicht verschnupft. Sander schwante Schlimmes.
Er legte auf und wählte zum wiederholten Male die Nummer der Staatsanwaltschaft in Ulm. Doch am Sonntag war dies ein sinnloses Unterfangen.
Dafür bekam er Häberle an die Strippe, der sich allerdings ungewohnt einsilbig gab, aber immerhin die Handynummer des Staatsanwalts herausrückte.
Augenblicke später hatte ihn der Journalist erreicht. Doch es kam wie befürchtet: keine Angaben zu einer möglichen Brandursache, keine konkrete Aussage zum Stand des Verfahrens gegen den Pfarrer. »Das Feuer vergangene Nacht kann viele Ursachen gehabt haben«, fasste der Staatsanwalt emotionslos zusammen: »Ein zündelndes Kind, eine defekte Holzofenheizung oder eine vorsätzliche Brandstiftung. Wir ermitteln in alle Richtungen.«
»Ist denn inzwischen bekannt, wo sich der Hausbesitzer aufhält?«, hakte Sander ungeduldig nach.
»Nach Aussage der Ehefrau befindet er sich momentan auf den Kanaren. Es ist leider unmöglich, ihn zu erreichen. Das hat aber zunächst nichts zu bedeuten. Es gehört zu seinen Gepflogenheiten, im Urlaub nicht erreichbar zu sein.«
»Wie geht es der Mutter von diesem Buben?«
Der Staatsanwalt ließ eine Sekunde verstreichen. »Wir sollten jetzt nicht über Details reden, Herr Sander. Ich denke auch, dass man nicht schon wieder versuchen sollte, die Angelegenheit mit dem Pfarrer in die öffentliche Berichterstattung mit hineinzubringen.«
Sander ignorierte den Hinweis. »Letzte Frage: Wieso hat die Mutter ihr Kind allein zu Hause gelassen? Und wo war eigentlich der Vater zu diesem Zeitpunkt? Der wohnt doch auch noch in Rimmelbach?«
»Entschuldigen Sie bitte, Herr Sander, aber das sind alles Dinge, die noch einer Abklärung bedürfen.«
Häberle hatte weitere Akten studiert und sie mit den Kollegen der Sonderkommission besprochen. »Plötzlich werden die DNA-Abgleiche vom Hochsitz wieder interessant«, stellte er fest. Die Staatsanwaltschaft hatte diesen Spuren in den vergangenen Wochen keine Bedeutung mehr beigemessen.
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