Machtkampf
Vielleicht, so kam es Häberle in den Sinn, würde man später von ›Ermittlungspannen‹ sprechen, wie es sie bekanntermaßen in ganz großem Stil in jüngster Vergangenheit im Zusammenhang mit den rechtsextremistischen Umtrieben in den neuen Bundesländern gegeben hatte. Damals waren die Geheimdienste ziemlich lasch mit wichtigen Hinweisen und Spuren umgegangen. Im vorliegenden Fall konnte jedenfalls derzeit niemand ausschließen, dass die Vorfälle in Rimmelbach etwas miteinander zu tun hatten.
Die Kollegen hörten ihrem Chef interessiert zu. »Auf dieser Liege, die der Herr Hartmann in seinem opulenten Hochsitz zusammengeklappt stehen hatte, wurden DNA-Spuren von mindestens zwei Frauen und – außer von Hartmann – noch von zwei weiteren männlichen Personen gefunden.«
»Reger Verkehr«, kommentierte einer der Kriminalisten und grinste Vanessa zu, die aber so tat, als habe sie es nicht bemerkt.
»Aber ob uns das weiterbringt, ist eine andere Frage«, blieb Häberle ruhig. »Es sei denn, wir finden irgendetwas heraus, was all diese Herrschaften verbindet.«
»Was wohl?«, meinte der andere Kollege wieder. »Natürlich das Abenteuer in freier Natur.«
Linkohr mischte sich ein: »Zumindest eines könnten wir rauskriegen: nämlich ob Mompach auch dort oben war. Nachdem er nicht erreichbar ist, würde uns die Staatsanwaltschaft vermutlich zugestehen, Vergleichs-DNA aus seiner Wohnung sicherzustellen.« Sie alle wussten, dass dies problemlos zu bewerkstelligen war: Bartreste aus einem elektrischen Rasierapparat, Schuppen oder Haare aus Kämmen und Bürsten beispielsweise.
»Der Mompach wird ja schon mal bei seinem Jagdgenossen da oben gewesen sein«, gab Häberle zu bedenken. »Wenn wir was von ihm dort finden, ist das also in keine Richtung aussagekräftig.«
Vanessa sah ihren Kollegen Linkohr stirnrunzelnd an und wandte sich dann an Häberle: »Interessanter erscheinen mir die Damen. Vielleicht gibt es in Rimmelbach einige davon, die in – na, sagen wir mal – seltsame Beziehungen mit diesen beiden Herren verwickelt sind.«
»Dann machen wir doch einen Massen-DNA-Test bei den Frauen«, schlug eine Stimme aus dem Hintergrund vor. Es klang allerdings eher scherzhaft.
»Und was ist eigentlich mit diesem Halbrussen?«, fragte Linkohr dazwischen.
»Der Igor«, entgegnete Häberle, »auch den werden wir uns noch mal zur Brust nehmen. Und im Übrigen auch den Kindsvater, der vergangene Nacht wohl gar nicht in Rimmelbach war.« Er sah in die Runde und fügte an: »Wir sollten uns auf keinen Fall jetzt nur auf den Pfarrer einschießen. Der hatte natürlich am ehesten einen Grund, den Manuel zu beseitigen. Aber …«, er lächelte, »erstens ist er Pfarrer und an die zehn Gebote gebunden und zweitens erweist es sich oft als sehr großer Fehler, nur auf eine einzige Person fokussiert zu sein.« Er sah zu Vanessa, als wolle er ihr damit eine Botschaft auf ihren weiteren Berufsweg mitgeben.
Mompach hatte minutenlang wie in Trance von seinem Balkon aus in den urwaldartigen Tropengarten hinunter gestarrt, ohne das Gesehene in sich aufnehmen zu können. Seine Augen verfolgten teilnahmslos einige Schwimmer, die vereinzelt unter dem Blätterdach der Palmen auftauchten, in dem tropischen Flusslauf an ihm vorbeizogen und wieder hinter den Bäumen verschwanden. So traumhaft diese Atmosphäre hier auch war, Mompach vermochte nicht, sie zu genießen. Das unablässige Rauschen des Wasserfalls unter ihm und das ebenso laute Sprudeln des Whirlpools gegenüber bohrten sich drohend in seine Ohren. Einmal hatte er bereits geglaubt, hinter ihm sei jemand ins Zimmer gekommen – doch die Geräusche waren nicht real gewesen, sondern den Ängsten entsprungen, die von Stunde zu Stunde schlimmer wurden.
Wer war der Unbekannte, der ihn hierher gelockt hatte? Warum gerade hierher in ein beliebtes Touristenhotel? Ein Hinterhalt konnte dies nicht sein. Nicht hier. Hatte er in den vergangenen Monaten mit jemandem über dieses Hotel gesprochen? So sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich an niemanden erinnern, der dafür infrage kam. Er war zwar oft auf dem Nachtmarkt an der Zufahrtstraße gewesen, aber nie bis zu dieser Hotelanlage vorgedrungen.
Mompach wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein T-Shirt war feucht. Das tropische Klima setzte ihm heute besonders zu. Obwohl die Gebäude mittlerweile ihre Schatten auf das üppige Grün des Gartens warfen, würde es sich kaum abkühlen. Normalerweise genoss er solche Nächte,
Weitere Kostenlose Bücher