Machtkampf
versteinerte sich das blasse Gesicht der Rektorin. »Oder gibt es da etwas, das Sie mir verheimlichen?«
5
Kugler fühlte sich psychisch am Ende. Dabei war erst ein einziger Tag vergangen, seit ihm dieser Kriminalist eröffnet hatte, was gegen ihn vorlag. Erst ein einziger Tag. Wie würde er den Gottesdienst am Sonntag durchstehen? Zwar kamen erfahrungsgemäß nur zwei oder drei Dutzend ältere Leute – angeblich viel weniger, als bei seinem Vorgänger –, aber wer von denen würde schon etwas wissen? Machten bereits Gerüchte die Runde? Vielleicht ließen sie ihn schon gar nicht mehr in die Kirche. Womöglich hatte Mompach als stellvertretender Vorsitzender des Kirchengemeinderats schon davon erfahren und heimlich die Bevölkerung gegen ihn mobilisiert. Ganz sicher beriet bereits der Oberkirchenrat über das weitere Vorgehen.
Es war doch nur noch eine Frage der Zeit, bis etwas an die Öffentlichkeit sickerte. Vielleicht würde sogar Manuel selbst voller Stolz seinen Mitschülern berichten, dass er bei der Kriminalpolizei eine Aussage gemacht hatte. Erfahrungsgemäß waren es doch meist die stillen und verschlossenen Kinder, die mit außergewöhnlichen Ereignissen plötzlich zu prahlen begannen, um sich in den Mittelpunkt stellen zu können.
Es war kurz nach 17 Uhr, als Kugler die Anwaltskanzlei in Geislingen betrat, die er bislang nur vom Hörensagen gekannt hatte. Eine freundliche Empfangsdame führte ihn ein Stockwerk höher zu dem zuständigen Juristen. Der sprang von seinem Schreibtisch auf, stellte sich als Jürgen Schaufler vor und bot seinem neuen Mandanten einen Platz auf einer Ledercouch an, während die Sekretärin bereits zwei Tassen Kaffee hereinbrachte und wieder verschwand.
Schaufler zog sich einen schweren Ledersessel an den Couchtisch, auf dem bereits einige Akten lagen. »Ich habe mir einige Protokolle kommen lassen«, sagte der Mann, der auf Kugler einen agilen und sportlichen Eindruck machte.
»Entschuldigen Sie, wenn ich etwas nervös bin, aber Sie können sich denken, dass mich die Sache ziemlich mitnimmt«, begann der Pfarrer. »Sie sind sozusagen meine letzte Hoffnung.« Er hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. »Ich kann nur sagen: Da war nichts. Absolut nichts.« Kugler saß verkrampft vor dem Juristen, nach vorne gebeugt, die Unterarme auf die Schenkel gestützt.
»Im Moment ist es nicht mehr als eine Anschuldigung, für die es nur die Aussage dieses Buben gibt, aber keine Beweise«, fasste Schaufler seine bisherigen Erkenntnisse zusammen.
»Weiß man denn schon etwas über die Aussage dieses Kindes?«
»Nur so viel, dass dieser – Manuel heißt er, glaube ich – wohl wiederholt hat, was seine Mutter zu Protokoll gegeben hat.«
»Aber da muss es doch eine Möglichkeit geben, ihm nachzuweisen, dass er lügt. Das ist ein reines Hirngespinst von ihm.« Kugler konnte seine innere Unruhe nicht mehr verbergen, obwohl er sich zu keinen emotionalen Äußerungen hinreißen lassen wollte. Aber hier ging es nicht um die Probleme eines Gemeindemitglieds, derer er sich an seinen früheren Wirkungsorten oft genug hatte annehmen müssen. Jetzt war er selbst der Betroffene, der dringend Beistand brauchte.
»Es wird ein psychologisches Gutachten geben«, erwiderte Schaufler sachlich. »Dazu wird das Kind vermutlich zu einer ausgiebigen Exploration in eine Klinik gehen müssen.«
»Das heißt, dies alles zieht sich lange hin«, konstatierte Kugler erschöpft.
»Wir werden uns auf eine längere Verfahrensdauer einstellen müssen. Es sei denn, Mutter oder Kind rücken von ihren Angaben ab.«
»Aber die Staatsanwaltschaft kann dies doch nicht alles so einfach hinnehmen«, zeigte sich Kugler verständnislos. »Die Kripo muss die Hintergründe ermitteln. Warum das Kind so etwas behauptet und weshalb die Mutter ihm das glaubt.«
»Das gestaltet sich schwierig, Herr Kugler. Es gibt keine Zeugen.« Der Anwalt blätterte in seinen Akten.
»Wie sollte es die auch geben, Herr Schaufler? Da war nichts. Gar nichts. Alles, was der Bub sagt, ist seiner Fantasie entsprungen.«
»Davon gehe ich aus«, sagte Schaufler, um seinem Mandanten das Gefühl zu geben, ihm voll und ganz zu glauben.
»Man muss doch feststellen können, ob Manuel zu solchen Lügengeschichten neigt.«
»Das wird sicher geschehen. Nur sollten wir uns damit zufriedengeben, wenn die Ermittlungen möglichst diskret erfolgen. Das muss in unserem Interesse liegen. Ich geh mal davon aus, dass bisher nichts nach außen gedrungen
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