Machtkampf
schwirren schon tausend Gerüchte durchs Dorf.«
Kauz nahm eine Haltung ein, die bei ihm aufmerksames Zuhören und Nachdenken verriet: Er stützte sich lässig mit einem Fuß an der Kante einer Schreibtischplatte ab, während er auf dem anderen Bein balancierte, den Kopf in die rechte Hand sinken ließ und das Gewicht mit dem Ellbogen auf den Oberschenkel ableitete. »Ich schlage vor, wir versuchen’s morgen noch mal bei der Staatsanwaltschaft, und wenn dabei nichts herauskommt, rufen wir den Bürgermeister an.«
»Bei dem waren wir heute schon«, erklärte Sander, »allerdings noch bevor ich bei der Pressekonferenz davon erfahren habe.«
»Wir könnten doch den Pfarrer direkt anrufen«, meinte eine Jungredakteurin.
»Das würde ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht tun«, entgegnete Kauz. »Wir werden ihn natürlich mit der Anschuldigung konfrontieren, falls es eine geben sollte. Aber wir müssen zuerst Klarheit haben.«
Sander stellte zufrieden fest, dass der Mann sich seiner Verantwortung bewusst war. Situationen wie diese kamen in einer kleinen Redaktion nicht oft vor. Umso sensibler mussten sie angegangen werden. Es war für die Kollegen in den bundesweit erscheinenden Blättern ein Leichtes, über einen Skandal zu berichten, der sich irgendwo weit draußen in der Provinz ereignet hatte. Doch die Journalisten vor Ort, die hautnah mit den Betroffenen zusammenkamen, mussten wesentlich mehr Gespür für die menschliche Tragik aufbringen, die hinter solchen Geschehnissen stand. Sie vollführten dabei einen waghalsigen Spagat: Berichteten sie zurückhaltend, wurde ihnen vorgehalten, keinen Mut zu haben und die Wahrheit zu vertuschen, schilderten sie hingegen jedes Detail, hieß es wiederum, sie seien ›schlimmer als die Boulevardzeitungen‹.
»Ich werde morgen versuchen, meine Quellen bei der Polizei anzuzapfen«, sagte Sander schließlich.
Die Kollegen nickten. Einer der älteren meinte sachlich: »Wir können die Geschichte erst veröffentlichen, wenn wir von offizieller Seite eine Bestätigung haben. Und selbst dann müssen wir überlegen, wie wir die Sache behandeln. Denn ein Ermittlungsverfahren sagt ja noch lange nichts über Schuld oder Unschuld aus. Und glaubt mir: Selbst wenn sich hinterher herausstellt, dass da nichts dran ist, wird an dem Mann was hängen bleiben.«
Ein eher stiller Kollege strich sich die langen grauen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Es soll ja schon Fälle gegeben haben, da wurden Leute durch die öffentliche Vorverurteilung in den Selbstmord getrieben.«
»Aber wenn was dran ist, dürfen wir nicht hinterm Berg halten«, warf ein anderer ein, der an Körpergröße fast alle überragte und jetzt sein Wissen über den Streit um die Pfarrerstelle einbrachte: »Rimmelbach, das wisst ihr doch alle, ist in Bezug auf den Kugler ziemlich zerstritten. Wir haben schließlich letztes Jahr ausführlich über den Zoff da oben berichtet. Ich denke, wir sollten der Sache ernsthaft nachgehen und nicht mehr lange drum herumreden.«
Keiner wollte etwas dazu sagen.
Karin Stenzel war nach der Irritation, die ihr Linkohr mit der Frage nach dem Schlüssel beschert hatte, wieder etwas gesprächiger geworden. Sie bestätigte, dass Mompach als Großbauer eine dominante Rolle im Ort spiele. »Er mischt sich in alles ein, auch in schulische Belange«, sagte sie und musterte den Kriminalisten. Linkohr deutete dies als gewisses Interesse an seiner Person.
»Wie äußert sich dieses Einmischen?«, fragte er leicht verlegen.
»Er ist stellvertretender Bürgermeister, müssen Sie wissen. Er kann zwar keinen Einfluss auf die Lehrpläne nehmen, aber auf die Ausstattung der Schule.«
»Wie muss man das verstehen?«
Sie überlegte, ob sie überhaupt befugt war, sich dazu zu äußern. »Seit einigen Wochen mäkelt er daran herum, ob es notwendig sei, ausgerechnet den Religionsunterricht in dem neu renovierten Klassenzimmer abzuhalten, während gleichzeitig eine andere Klasse für ihren Deutschunterricht im hinteren Gebäudeteil untergebracht werde, der seiner Ansicht nach dafür völlig ungeeignet sei. Inzwischen hat er schon einige Eltern auf seiner Seite …«
Linkohr nahm es als eine der üblichen Querelen zur Kenntnis, wie sie in den Dörfern oftmals in Ermangelung anderer Probleme hochgekocht wurden.
Es klopfte an der Tür und noch bevor die Rektorin etwas sagen konnte, stand Vanessa vor ihnen. Linkohr zeigte sich freudig überrascht und stellte die Polizeistudentin seiner Gesprächspartnerin
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