Machtkampf
aufgetaucht?«
»Darüber reden wir nachher weiter«, wehrte Linkohr ab. »Mal angenommen, Sie haben das Mäppchen Mitte der Sommerferien, nachdem Sie kurz hier in der Schule etwas zu erledigen hatten, wieder daheim in die Schublade zurück gelegt – gab es denn Personen, die Zugriff darauf hatten?«
»Was heißt ›Zugriff‹? Mein Mann natürlich und meine 13-jährige Tochter. Aber Sie glauben doch wohl nicht, dass einer von beiden den Schlüssel rausgenommen hat?«
Linkohr hatte mit gewissem Bedauern hören müssen, dass es einen Ehemann und sogar schon eine Tochter gab. Da war er chancenlos. Tausendmal hatte er sich schon vorgenommen, bei dienstlichen Gesprächen nicht in diese Richtung zu denken. Und obwohl er schon einmal kräftig auf die Nase gefallen war, als er seinen Gelüsten freien Lauf gelassen hatte, tat er sich zunehmend schwer damit, seine Gefühle bei der Vernehmung attraktiver Damen im Zaum zu halten.
»Als Schulleiterin kennen Sie sich in Rimmelbach sicher gut aus«, gab sich Linkohr versöhnlicher und ließ den Blick über einen großen Stundenplan streifen, der hinter dem Schreibtisch an der Wand hing und der ihn für einen Augenblick an seine eigene Grundschulzeit erinnerte. Vormittags Unterricht, nachmittags offenbar viele wöchentlich wiederkehrende Termine, stellte er fest. Nur an zwei Nachmittagen waren die Spalten leer, dienstags und freitags.
»Ganz so gut kenne ich mich auch nicht aus«, holte ihn die Stimme Stenzels wieder aus den Gedanken zurück. »Ich bin seit fünf Jahren hier. Ich komme eigentlich aus Biberach und war einige Jahre in Schwäbisch Gmünd tätig. Mein Kenntnisstand, was die Bevölkerung anbelangt, beschränkt sich auf die Eltern der Schüler. Und das sind nicht gerade viele – obwohl wir hier auch noch Kinder aus zwei umliegenden Gemeinden haben.«
Linkohr nickte. »Aber die wichtigsten Leute kennt man doch.«
Wieder glaubte Linkohr, in Karin Stenzels Gesicht ein Zucken bemerkt zu haben. »Wichtige Leute«, wiederholte sie. »Den Bürgermeister, den Pfarrer, ja. Aber so viele wichtige gibt’s hier nicht.«
»Auf dem Land sind das oft ganz gewöhnliche Leute, die sich, warum auch immer, für ›großkopfet‹ halten, wie man im Schwäbischen sagt«, entgegnete Linkohr.
»Da mögen Sie recht haben. Aber so arrogante Neureiche kann ich hier in Rimmelbach nicht entdecken.«
»Hm«, machte Linkohr, »auch der Mompach nicht?«
»Der Mompach?«, empörte sie sich. »Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf den?«
Nachdem Sander seinen Artikel über den fragwürdigen Selbstmord geschrieben hatte und die Sekretärin bereits gegangen war, weihte er die Kollegen in die vertrauliche Information über den Pfarrer von Rimmelbach ein. Sie versammelten sich, wie üblich, an einer der Schreibtischgruppen, um stehend, sitzend und an Schränken lehnend über das weitere Vorgehen zu beraten. Sander hatte zu bedenken gegeben, dass radio7 bereits recherchiere, weshalb sich die Frage stelle, ob und wie die vergleichsweise kleine Regionalzeitung das sensible Thema schon zu diesem Zeitpunkt aufgreifen solle. Zunächst machte sich betretenes Schweigen breit. Allen in dieser Runde war klar, dass eine Veröffentlichung, wann auch immer, für den Pfarrer schwerwiegende Folgen haben würde. »Und was sich hinter dem anonymen Hinweis ›sexuell vergangen‹ verbirgt, lässt sich schwer abschätzen«, fügte er an. Man könne aber nach dem Verhalten des Staatsanwalts davon ausgehen, dass es sich nicht nur um ein Gerücht handle. Redaktionsleiter Kauz strich sich übers Kinn, das ein dünner Dreitagebart zierte. »Muss befürchtet werden, dass diese Geschichte in irgendeinem Zusammenhang zu Ihrer Hochsitz-Story steht?«
Sander zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Mehr als das, was ich von der Radiokollegin erfahren habe, weiß ich nicht.«
Einer aus der Runde meinte forsch: »Wenn die Jungs von ›Bild‹ davon Wind kriegen, ist sowieso die Hölle los.«
»Wo liegt überhaupt das Rimmelbach?«, fragte die Kulturredakteurin dazwischen.
»Wie?« Sander staunte nur kurz über diese Frage, sah es der Kollegin aber nach, dass sie als Feuilleton-Journalistin natürlich nicht jedes Dorf auf der Alb kannte.
Er verkniff sich deshalb eine Stichelei und antwortete ruhig: »Hinter Böhmenkirch.«
»Ein kleines Kaff«, ergänzte der Redakteur, der fürs Umland zuständig war. »Wenn an der Sache was dran ist, braucht man doch nur mal hinzufahren und sich umzuhören. Wahrscheinlich
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