Machtkampf
Mompach?«, vergewisserte sich der Anwalt.
»Ja, der Arnold, ihr Ex-Mann, hat sie wohl gleich nach der Geburt von Manuel schändlich im Stich gelassen. Sie hat das Sorgerecht für den Buben zugesprochen bekommen, aber er ist wohl kaum in der Lage, finanziell für sie und ihn aufzukommen. Mit der Trennung ist der Bauernhof den Bach runtergegangen.«
»An Mompach wahrscheinlich, oder?«
»Die Ländereien ja, nicht aber der Hof. Den hat er behalten, will ihn jedoch verkaufen und auswandern, wie man so hört.«
»Viel Zeit für den Buben hat die Frau Kowick demnach nicht. Sie sagen, er sei verhaltensgestört?«
»So würde ich das bezeichnen, ja. Er ist doch meist allein. Der Vater, also Arnold, kümmert sich nicht um ihn – und die Mutter ist, unter uns gesagt, weder zeitlich noch vom Intellekt her in der Lage, sich des Kindes angemessen anzunehmen.«
»Sie halten es also für denkbar«, überlegte der Anwalt, »dass der Manuel entgangene Zuneigung durch Wichtigtuerei kompensiert?«
»So ungefähr.«
»Dass Mompach dahintersteckt, um mithilfe des kleinen Buben letztlich Sie loszuwerden, halten Sie aber nicht für denkbar?« Der Anwalt machte sich wieder Notizen.
»Das ist mir heute Nachmittag auch schon durch den Kopf gegangen. Aber ich kann mich da nur wiederholen: Ich glaube nicht, dass Mompach das Risiko eingeht, Frau Kowick oder gar ihren kleinen Manuel vor seinen Karren zu spannen und sie zwingt, eine solche Lügengeschichte der Polizei zu erzählen.« Kuglers Gesicht ließ ein Lächeln erahnen. »So etwas lässt sich nicht so leicht spielen, wie das in den Fernsehfilmen gezeigt wird. Das hier ist kein Spiel, sondern bitterer Ernst – und dazu bedarf es eines gewissen Intellekts, den ich bei Frau Kowick, wie gesagt, nicht erkennen kann. Sie wäre gar nicht in der Lage, so ein Lügenkomplott durchzustehen.«
»Vielleicht fällt es ja auch bald zusammen«, gab sich Schaufler optimistisch und wechselte das Thema: »Wie stellt sich der Bürgermeister zu den ganzen Querelen?«
»Der?« Kugler war für einen Moment konsterniert. »Der hält sich vornehm zurück. Ich habe den Eindruck, dass der sich nicht zwischen die Stühle setzen will. Der thront seit 17 Jahren im Rathaus, ist demnach schon zweimal wiedergewählt und kann in Seelenruhe seiner Pensionierung entgegensehen. So einer legt sich doch mit niemandem mehr an.«
»Jetzt gibt es da ja seit gestern diesen seltsamen Selbstmord«, zeigte sich Schaufler interessiert. »Noch weiß ich nicht sehr viel darüber. Aber man hört, dass dieser Viehhändler namens Hartmann freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Und dass dies in seinem Wohnort Böhmenkirch, aber auch in Rimmelbach für gewisse Unruhe sorgt. Ich geh mal davon aus, dass es nur ein zufälliges Zusammentreffen ist von der Anzeige gegen Sie und dem Selbstmord?«
»Was soll ich dazu sagen?« Kugler war von dieser Frage überrascht. »Inzwischen halte ich alles für möglich. Denn wer nicht davor zurückschreckt, einen Menschen mit einer so ungeheuren Anschuldigung ins Verderben zu stürzen, dem ist auch ein Mord zuzutrauen.«
»Mord?«, wurde Schaufler hellhörig. »Wieso denn Mord? Nach allem, was ich weiß, hat sich Hartmann selbst umgebracht.«
Kugler zuckte mit den breiten Schultern. »Entschuldigen Sie, ich weiß natürlich, dass nicht jeder Todesfall, den ein anderer verschuldet hat, ein Mord sein muss.«
Schaufler wollte nicht nachfragen. Als Jurist vermochte er sehr wohl zwischen den juristischen Definitionen eines Tötungsdelikts zu unterscheiden: Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässige Tötung – plus weitere Varianten.
»Immer gibt es aber einen Täter«, fügte er an.
»Wenn Sie sich da mal nicht irren«, gab Kugler zu bedenken.
Die Oktobernacht war kalt und dunkel. Eine dicke Wolkenschicht ließ dem fahlen Licht des zunehmenden Mondes keine Chance. Leichter Nieselregen nässte den Asphalt. Rimmelbach lag jetzt, kurz nach ein Uhr, in tiefem Schlummer. Nur einige Straßenlampen, die von der energiesparenden Nachtschaltung ausgenommen waren, erhellten die schwarz glänzenden Straßen. Dass eine dunkel gekleidete Gestalt, die ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, katzenartig durch eine Seitengasse huschte und mit den Schatten verschmolz, die Bäume, Gebüsch und Vordächer im Lampenlicht warfen, nahm niemand zur Kenntnis. Und selbst wenn hinter den schwarzen Fenstern noch jemand saß, den die Schlaflosigkeit plagte, würden diese Bewegungen im
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