Machtkampf
Rolle gespielt.«
»Man hat Sie hier wohl nicht gewollt?«, hakte Häberle nach.
»Es gab unterschiedliche Strömungen«, gab sich Kugler weiterhin eloquent, obwohl er sichtlich Probleme damit hatte, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. »Man hat behauptet, ich sei zu alt, doch in Wirklichkeit hat manchen Herrschaften hier meine politische Gesinnung nicht gepasst. Ich kämpfe für den Erhalt der kleinen bäuerlichen Strukturen, weil sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie alles von Übel ist, was sich zu großen Einheiten zusammenrottet.« Wieder das milde Lächeln. »Insofern hab ich mich gefreut, dass Daimler damals mit Chrysler Schiffbruch erlitten hat. Ich wünschte, das ginge noch mehreren Größenwahnsinnigen so.«
»Und diese Einstellung hat Ihnen hier Feinde eingebracht?«, wollte Häberle wissen.
»So deutlich hat das natürlich keiner gesagt. Aber der Herr Mompach, den Sie heute sicher schon kennengelernt haben, hat alles versucht, mich madigzumachen, wie man so schön sagt.«
»Es war eine schlimme Zeit«, bekräftigte seine Frau. »Aber Dieter hat sich nicht beirren lassen. Und deshalb wird er auch jetzt diese Verleumdungen durchstehen.«
»Sie befürchten, dass man Sie auf diese Weise wieder loswerden will? Sozusagen eine Verschwörung?«, fuhr der Kriminalist fort.
»Ob Verschwörung oder nicht, Herr Häberle, fest steht aber, dass hier etwas im Gange ist, dessen Tragweite wir uns alle vermutlich noch nicht bewusst sind.«
Sie schwiegen sich ein paar Sekunden an, bis Kugler schwer atmend die Stille durchbrach. »Ihr jetziger Fall wäre der zweite Selbstmord innerhalb eines halben Jahres – aber ich denke, Sie wissen das.«
Die beiden Kriminalisten sahen sich fragend an.
»An Karfreitag war’s«, half ihnen Kugler auf die Sprünge. »Harald Marquart, 35 Jahre alt, ein Mann im besten Alter, erhängt in seiner Scheune.«
»Weiß man, warum?«
Wieder war es Kuglers Frau, die antwortete: »Überschuldet. Einer dieser kleinen Landwirte, von denen mein Mann soeben gesprochen hat.«
Linkohr hatte sich den Namen schnell auf seinem Notizblock notiert. »Gibt es da eine Witwe?«
»Ja, gibt es«, sagte Kugler, »die Stefanie. Sie wohnt noch im Hof, kämpft sich jetzt aber mit irgendwelchen Allerweltjobs durch. 400 Euro irgendwo. Muss sich mit jeder Arbeit zufriedengeben. Da kann man sich vorstellen, wie ihre Notsituation ausgenutzt wird. Zum Glück gibt es keine Kinder.«
Häberle spürte, wie es in dem Theologen brodelte, sobald Ungerechtigkeiten angesprochen wurden. Der Mann wurde ihm immer sympathischer.
»Das Stichwort Kinder«, versuchte der Ermittler vorsichtig, ein anderes, allerdings heikles Thema anzusprechen. Er zögerte kurz. »Dieser Manuel, um den es bei der Anschuldigung gegen Sie geht, der wächst wohl ohne Vater auf.«
Kugler lehnte sich zurück und starrte zur Decke. »Für den Buben ist das das Schlechteste, was ihm passieren konnte. Manuel ist ein typisches Kind unserer Zeit.« Der Pfarrer schien jedes Wort und jede Formulierung abzuwägen. »Kein richtiges Elternhaus, niemand, der sich um die seelische Entwicklung kümmert. Nur irgendwie ruhiggestellt, weil in der Tageshektik kein Platz und kein Raum bleiben. Manuel hat keine sozialen Kontakte. Keine Freunde. Den Kindergarten hat er, wie mir gesagt wurde, nur selten besucht. Und weil er meist daheim sitzt, hat er nie gelernt, mit anderen Kontakt aufzunehmen. Manuel ist ein verschüchterter Einzelgänger, der sich eine Scheinwelt aufbaut – und zwar eine Scheinwelt aus dem, was er in Videos sieht und was er in seiner Fantasie daraus macht.«
Häberle nickte. Aus den Worten Kuglers war bereits zu hören, dass er sich seine eigene Erklärung für die Anschuldigungen zurechtgelegt hatte. »Und was ist mit dem Vater?«, hakte der Kriminalist nach.
»Er hat sich von seiner Frau getrennt. Das hat mir Manuels Mutter, die Frau Kowick, erzählt, als ich nach meinem Amtsantritt bei ihr war. Kaum war der Bub auf der Welt, war der Mann weg.«
»Kennen Sie den Grund?«, fragte Linkohr schnell.
Kugler blickte zu seiner Frau, die ihn mit regungsloser Miene ansah. »Es fällt mir schwer, über diese vertraulichen Gespräche zu reden«, fuhr er bedächtig fort. »Offenbar ist es zu unüberwindbaren Zerwürfnissen gekommen. Jedenfalls ist Frau Kowick mit ihrem Kind ausgezogen, was in dieser Situation ein schwerwiegender Entschluss war.«
»Und finanziell? Wie hält sie sich über Wasser?«, hakte Häberle
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