Machtkampf
tatsächlichen Handel bestand, sondern nur im Verschleiern, um sich an der jeweiligen Erstattung der Mehrwertsteuer zu bereichern.
Auch Häberle kannte dies als höchst kriminelles Vorgehen, konnte sich aber insgeheim einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren. Denn wären die Steuergesetze europaweit nicht zu einem undurchschaubaren Dschungel verkommen, hätten es trickreiche Betrüger nicht so einfach, sich in einem weiten Feld der Grauzone mithilfe von findigen Steuerexperten durchzumogeln. Aber möglicherweise, so argwöhnte Häberle oft im Kreis von Kollegen, war diese Kompliziertheit auch so gewollt, um dem Großkapital genügend Vorteile einräumen zu können, während sich der kleine Bürger in diesem Geflecht von Paragrafen verlor und zermürbt werden sollte.
»Es besteht auch der Verdacht«, fuhr Specki fort, »dass Hartmann daran beteiligt war, Pferdefleisch im großen Stil als Rindfleisch in den Handel zu bringen. Ihr erinnert euch: Im April ist die Geschichte mit dem niederländischen Unternehmen aufgeflogen, das 50.000 Tonnen in Umlauf gebracht hat. Hartmann scheint da auch mitgemischt zu haben.«
»Ach«, staunte Häberle, »das habt ihr alles aus den Daten rausgekitzelt?«
Specki grinste wieder. »Auch wenn er sie ganz schön getarnt hat.« Er hob einen Speicherstick in die Höhe, der in einer kleinen gummiartigen Löwenfigur steckte. »Kollege Linkohr hat das Ding übrigens in den Händen gehalten, ohne zu ahnen, was in dem Löwen wirklich steckt.« Der Spurensicherer fügte stolz an: »Wenn der Kollege davon erfährt, haut’s ihm sicher wieder ’s Blech weg.«
Häberle lachte laut, kam aber gleich wieder zur Sache: »Das ist sehr spannend, wird aber nicht reichen, Hartmanns Tod jemandem juristisch unterjubeln zu können.«
Specki zuckte mit den Schultern. »Womöglich hat sich Hartmann auch in diesem Paragrafendschungel verfangen und keinen Ausweg mehr gesehen.«
»Wurde denn gegen ihn schon einmal entsprechend ermittelt?«
»Nein, soweit uns bekannt ist, nicht. Aber wir müssen noch die Steuerfahndung mit einschalten.« Specki blätterte in seinen Unterlagen. »Noch nicht so genau wissen wir, was es mit einigen Adressen in Zürich, Mailand, Frankfurt und der Slowakei auf sich hat.«
»Das bedeutet?«
»Es sind überwiegend Nachtlokale und in Poprad ein Internat.«
»In Poprad?«
»Ja, Slowakei, ganz hinten, am Fuße der Hohen Tatra. An der Grenze zu Polen.«
Häberle musste schlagartig an einen seiner großen Fälle denken, bei denen die Stadt Kosice im äußersten Zipfel der Slowakei eine Rolle gespielt hatte. »Und was ist das für ein Internat?«
»Keine Ahnung. Die Kollegen sind gerade dabei, über Interpol etwas herauszufinden.«
»Sonst noch was?« Häberle bemerkte, dass Specki noch weitere Unterlagen bei sich hatte.
»Es scheint so, als habe Hartmann bevorzugt in Thailand Urlaub gemacht.«
»So?«
»Ja, aus dem, was die Kollegen in seinem Computer gefunden haben, könnte man schließen, dass er dort Besitzer einer Immobilie ist. In einer Stadt namens …«, Specki blätterte. »Hua Hin oder so ähnlich. Frag mich aber nicht, wie man das schreibt.«
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als Linkohr und Vanessa an dem windschiefen alten Bauerhaus eintrafen, in dem Sandra Kowick mit ihrem Manuel wohnte. Als nach zweimaligem Klingeln die Tür geöffnet wurde, stand eine blasse junge Frau vor ihnen, während im Hintergrund eine wütende kindliche Stimme brüllte: »Ich will nicht, ich will nicht!«
Sandra Kowick begrüßte die beiden Besucher, die sich telefonisch angemeldet hatten, nur flüchtig und fügte an: »Entschuldigen Sie, das ist Manuel. Er ist heute wieder unausstehlich. Aber kommen Sie trotzdem rein.«
Sie traten in den langen, schmalen Flur, den nur eine von der Decke hängende Glühbirne erhellte. Die Luft war feucht und modrig und erinnerte Linkohr an den Gewölbekeller seines letzten Falles.
In dem kleinen Wohnzimmer, in das sie geführt wurden, herrschte ein heilloses Chaos. Vanessa blickte sich kurz um und zwinkerte Linkohr zu. Auf einem alten Sofa waren Kinderkleider verstreut, Modellautos bedeckten den ausgetretenen Teppichboden. In einer dunklen Regalwand thronte ein voluminöser alter Fernsehapparat – und am Esstisch kauerte ein Bub, der teilnahmslos mit einem Löffel im Suppenteller rührte.
»Du bist sicher der Manuel«, versuchte Vanessa, ihn für sich zu gewinnen, während Frau Kowick von den drei anderen Holzstühlen Zeitschriften,
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