Machtkampf
Kleider und Schulmappe beiseite räumte. »Manuel kann keine Ordnung halten«, murmelte sie verschämt. Der Bub würdigte die Besucher keines Blicks und starrte nur in seinen Teller. »Er ist ziemlich verstört, aber das werden Sie ja von Ihren Kollegen wissen.«
Vanessa setzte sich neben ihn. »Wir wollen gar nichts von dir, keine Angst«, beruhigte sie den Buben, doch Manuel murmelte nur etwas, das sich so anhörte wie: »Ich hab keinen Hunger, ich will spielen.«
»Also gut, dann geh rüber in dein Zimmer«, gab sich die Mutter geschlagen, worauf Manuel den Löffel fallen ließ, aufsprang und sich unter dem gläsernen Couchtisch seinen Autos hingab.
»Er will nicht essen, dabei ist er sowieso schon viel zu dünn«, resignierte Frau Kowick. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und wischte mit den Händen über ihre blaue Arbeitsjacke. »Ich muss in einer dreiviertel Stunde noch mal los. Herr Mompach nimmt’s mit der Arbeitszeit ziemlich genau.« Sie sah die beiden Kriminalisten unsicher an, ihre Augen wanderten schnell von Linkohr zu Vanessa und zurück. »Und womit kann ich Ihnen helfen?«
Linkohr gab seiner jungen Kollegin zu verstehen, dass sie beginnen solle. »Die Sache mit Manuel interessiert uns weniger«, sagte Vanessa, »es geht uns nur um diese Kerze, die Sie gestern Vormittag entdeckt haben.«
»Ja, habe ich. Aber das hat die Polizei doch schon aufgenommen.«
Linkohr nickte. »Ja, natürlich, aber wie Sie sich denken können, stellt sich uns natürlich die Frage, wer die brennende Kerze dort deponiert hat.«
»Und deswegen kommen Sie zu mir?« Sandra Kowick ging in Abwehrhaltung.
»Wir kommen nicht nur deshalb zu Ihnen«, betonte Linkohr beruhigend, »sondern um herauszufinden, wer möglicherweise etwas gegen Herrn Mompach hat.«
Wieder wanderten Sandras Augen nervös von einem zum anderen. »Da dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin bei ihm beschäftigt und er hat mir dieses kleine Haus – auch wenn’s eine ziemliche Bruchbude ist – als Unterkunft zur Verfügung gestellt, nachdem sich mein Mann von mir getrennt hat.«
»Sie brauchen keine Angst zu haben, dass etwas von dem, was wir hier jetzt miteinander reden, Herrn Mompach zu Ohren kommt«, schaltete sich Vanessa ein.
Sandra presste kurz die Lippen zusammen und erwiderte: »Sie sollten Herrn Mompach nicht unterschätzen. Der erfährt und bekommt alles.«
Plötzlich ertönte die Stimme des Buben aus dem Hintergrund: »Mami, reden die von deinem Boss?«
Sandra reagierte gereizt: »Sei still, Manuel, das geht dich überhaupt nichts an. Ich will keinen Ton mehr hören. Nicht einen.«
Manuel war nicht zu beruhigen. Er warf sein Spielzeugauto gegen ein hölzernes Türchen der Regalwand und rief empört: »Aber du magst ihn doch auch nicht!«
»Ruhe jetzt oder ich sperr dich nachher in den Keller.«
Vanessa fühlte eine innere Empörung in sich aufsteigen und wollte schon etwas sagen, doch Sandra kam ihr zuvor und meinte mit gequältem Lächeln: »Wer mag schon seinen Chef? Manuel greift gleich jede Bemerkung auf. Dabei hat er striktes Redeverbot, wenn sich Erwachsene unterhalten.«
»Aber Mami, warum soll ich nichts sagen?«, presste er mit tränenerstickter und zorniger Stimme hervor, nachdem sein Auto zu Bruch gegangen war. »Die Polizei will doch auch alles von mir wissen.«
»Und du hast auch schon alles ganz brav gesagt. Damit Ruhe. Oder du kommst sofort in den Keller. Sofort!« Sandra wurde laut. Der Bub heulte lautstark los und kickte zornig ein anderes Spielzeugauto gegen die Wand.
Linkohr überlegte, ob diese Art der Erziehung ein Fall für das Jugendamt sein würde.
Sandra Kowick wollte gerade etwas sagen, als die Türklingel aufdringlich laut das Gebrüll Manuels übertönte.
Noch während sich Sandra erhob, rannte ihr Bub bereits aus dem Zimmer. »Manuel, du sollst hierbleiben!«, rief sie ihm hinterher, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war. Der Bub hatte bereits die Eingangstür geöffnet, sodass sich im Schein der schwachen Glühbirne eine hünenhafte Gestalt gegen die Dunkelheit abhob.
Manuel wich erschrocken zurück und verschwand in einem der anderen Zimmer.
»Entschuldigen Sie«, drang die tiefe Stimme des Besuchers in den Flur. Sandra schien für einen Augenblick vor Entsetzen starr zu sein, versuchte aber sofort, sich wieder in den Griff zu bekommen. »Herr Pfarrer?«, war zunächst alles, was sie herausbrachte. »Wieso …«
»Bitte erschrecken Sie nicht«, unterbrach sie Kugler, der nur so weit in den Flur
Weitere Kostenlose Bücher