Machtkampf
weitere Text jagte ihm einen panischen Schrecken durch den ganzen Körper: ›Wir wissen alles über dich und werden es vergessen, sobald das Schweigegeld bezahlt ist.‹
Zum wiederholten Male las Mompach die folgenden Absätze, die in der für Briefe üblichen Buchstabengröße geschrieben waren:
›Wir sind im Besitz von Dokumenten, die beweisen, dass du mit schmutzigen Geschäften mindestens fünf Millionen US-Dollar beiseitegeschafft hast oder in Immobilien angelegt wurden.‹ Mompach überflog den grammatikalisch falschen Satz noch einmal. Die Aussage war unmissverständlich. Ebenso schockierte ihn aber, dass die anonymen Verfasser des Briefes sehr gut über seine privaten und geheimen Angelegenheiten Bescheid wussten: ›Es dürfte dir nicht schwerfallen, einen Teil des in Hongkong, Singapur und Hua Hin gebunkerten Vermögens als Schweigegeld an uns abzuführen.‹
Mompachs Blick haftete auf den Städtenamen. Hongkong und Singapur hätte man noch als beliebig hingeschriebene Orte der Geldwäsche abtun können. Aber Hua Hin? Wer kannte schon diese thailändische Stadt auf der Westseite des Golfs von Siam? Wenn überhaupt, dann waren noch allenfalls das bisweilen durch Sextourismus etwas verrufene Pattaya oder das touristisch aufgewertete Phuket ein Begriff. Aber Hua Hin?
Mompach fühlte sich von den nächsten Sätzen noch weiter in die Enge getrieben: ›Du fliegst am 2. November nach Bangkok und wirst mit einem Taxi nach Hua Hin fahren.‹ Verdammt, durchzuckte es Mompach zum wiederholten Male. Genau so hatte er bereits den Flug gebucht. Genau so war es. Doch er hatte mit niemandem darüber gesprochen. Seiner Frau hatte er wie immer, wenn die Ernte eingebracht und die Felder bestellt waren, vorgetäuscht, mit einigen alten Schulfreunden auf die Kanaren zu fliegen. Dass die Reise nicht westwärts, sondern in den Fernen Osten ging, hatte sie nie erfahren, zumal er sämtliche Geldgeschäfte und Korrespondenzen selbst erledigte. Seit es Handys gab, war er ohnehin überall auf der Welt erreichbar, ohne dass jemand wissen musste, auf welchem Kontinent er den Anruf gerade entgegennahm. Außerdem konnte er per Internet die wichtigsten geschäftlichen Angelegenheiten ebenfalls von unterwegs erledigen.
Wie in Trance las er den nächsten Absatz: ›Weitere Instruktionen erhältst du vor Ort. Wir kennen die Adresse im Tropical Ocean View. Du solltest das Geld spätestens am 5. November in kleiner Stückelung in einem Aktenkoffer bereithalten. Falls du die Polizei einschaltest oder versuchen solltest, uns hereinzulegen, werden alle Dokumente automatisch an die Ulmer Staatsanwaltschaft geschickt. Und lass Igor aus dem Spiel, der hat damit nichts zu tun.‹ Mompach stutzte. Wieso Igor?
Mompach schloss die Augen. Er hatte plötzlich den Eindruck, als drehe sich der ganze Raum um ihn. Er musste an Hartmann denken – an die traumhaften Tage, die sie gemeinsam in Hua Hin verbracht hatten. Doch auch wenn sich Hartmann nicht umgebracht hätte, wären sie diesmal nicht gemeinsam nach Thailand geflogen. Und vermutlich hätten sie es auch nie wieder getan.
Der letzte Satz des Schreibens konfrontierte Mompach wieder mit der grausamen Realität: ›Noch ein guter Rat zum Schluss: Vergiss den Manuel nicht.‹
Der Kollege von der Spurensicherung, den sie alle nur ›Specki‹ riefen, war in Häberles Büro geeilt, um ihm die Neuigkeiten der EDV-Experten vorzulegen. Denen war es innerhalb kürzester Zeit gelungen, Hartmanns Computer weitere interessante Daten zu entlocken. »Der Viehhandel muss ziemlich gut floriert haben.« Specki deutete auf einen Ausdruck. »Ob allerdings wirklich Schweine und Rinder aus Osteuropa importiert wurden oder ob nur mit verschiedenen Firmen in Frankreich, Großbritannien und Österreich Scheinverträge oder fiktive Lieferscheine ausgetauscht wurden, ohne dass Waren hin- und hergeschickt wurden, muss erst noch geklärt werden. Aber dies dürfte allenfalls die Kollegen von der Steuerfahndung interessieren.«
»Mehrwertsteuerkarussell?«, mutmaßte Häberle.
Specki grinste. Sie beide wussten, dass in diesen Monaten bundesweit ein riesiges Verfahren lief, um Tricksereien mit Mehrwertsteuer-Rückerstattungen bei grenzüberschreitenden Geschäften auf die Spur zu kommen. Wie dies genau funktionierte, hatte Specki bislang nicht verstanden. Jedenfalls wanderten Lieferscheine und Bestellungen ein und derselben Ware meist von einem Land zum anderen, während der eigentliche Geschäftszweck nicht im
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