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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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sie mit Pflaster. Dann zog sie einen Beutel mit Infusionslösung aus einem der Schränke. Mayer fragte nicht, was er enthielt. Sie befestigte den Beutel an seiner Schulter. »Das ist ein ziemlich beschissenes Provisorium, aber besser als nichts«, bemerkte sie. »Ziehen Sie die Kanüle vorsichtig heraus, sobald der Beutel leer ist.« Sie reichte ihm ein eingeschweißtes Päckchen. »Hier ist noch etwas zur Desinfektion und ein Pflaster.«
    »Wo haben Sie das gelernt?«, fragte er, nicht im Mindesten irritiert durch ihre Ausdrucksweise.
    »Ich habe eine Weile für ›Ärzte ohne Grenzen‹ gearbeitet«, erwiderte sie. »Da lernen Sie zu improvisieren.«
    »Danke.«
    »Keine Ursache.« Als er aufstehen wollte, hielt sie ihn zurück. »Es könnte sein, dass Ihnen schwindelig oder schlecht wird. Ihr Gleichgewichtssinn wird über Knöchelchen im Ohr gesteuert. Wenn das passieren sollte …«
    »… komme ich wieder«, versprach Mayer.
    »Auf jeden Fall sollten Sie morgen noch einmal im Krankenhaus oder bei einem Arzt vorstellig werden.« Sie griff in die Brusttasche ihrer Jacke und reichte ihm eine Karte. »Nur für alle Fälle.«
    Mayer nickte, steckte die Karte ein und ging zurück zu dem, was von dem Restaurant noch übrig war. Im Hintergrund loderten die Flammen aus dem zerstörten Bahnhof. Überall rannten Helfer und Feuerwehrleute durcheinander, lagen armdicke Schläuche auf dem Boden, aus deren Mündungen sich Fontänen von Wasser auf die Brandherde ergossen.
    Während er sich medizinisch hatte versorgen lassen, war einer der Vermissten lebend geborgen worden, dort, wo die beiden Feuerwehrleute begonnen hatten zu graben. Der Mann lag auf dem Boden, das Gesicht aschfahl, die linke Seite seines Körpers blutgetränkt. Ein Team von Notärzten bemühte sich um ihn. Als Mayer genauer hinsah, bemerkte er, dass dem Mann der linke Arm abgerissen war. Mayer hoffte nur, dass er es schaffte. Drei Tote waren mehr als genug. Als Mayer weiter über das Gelände eilte, auf den Bahnhof zu, boten sich ihm immer wieder dieselben Bilder der Zerstörung und des Entsetzens.
    Dann entdeckte Mayer eine alte Frau, die in sich zusammengesunken und in eine Decke gehüllt in der geöffneten Tür eines der Rot-Kreuz-Fahrzeuge saß und ungläubig vor sich hin starrte. Sie war es, die er gesucht hatte. Er sah, dass ihre Hände zitterten.
    »Frau Altmann?«
    Sie sah auf. Musterte ihn aus wässrigen blauen Augen.
    »Frau Altmann, mein Name ist Eric Mayer. Ich ermittle im Rahmen des Anschlags und hätte noch ein paar Fragen an Sie.«
    »Die hab ich doch alle schon Ihren Kollegen beantwortet«, sagte sie mit dünner Stimme.
    »Ich weiß, aber ich würde gern mit Ihnen persönlich sprechen.«
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Erzählen Sie mir bitte noch einmal ganz von vorn, was Sie heute beobachtet haben.«
    Edith Altmann war für das Sicherheitspersonal des Bahnhofs keine Unbekannte. Und als sie an diesem Tag einen der Männer angesprochen hatte wegen eines Pakets, das jemand in einem Mülleimer bei den Rolltreppen deponiert hatte, hatte man sie nicht ernst genommen, denn Edith Altmann beschwerte sich des Öfteren über dies oder das, insbesondere aber vermutete sie hinter jeder Ecke einen Bösewicht, der ihr Übles wollte. Deshalb hörte ihr auch niemand mehr richtig zu. Sie schenkten der alten Frau einen Kaffee aus, wenn sie zu ihnen kam, weil sie inzwischen wussten, dass sie nur eine sehr geringe Rente bekam, die sie unter anderem damit aufbesserte, dass sie Pfandflaschen aus den Mülleimern sammelte. Sie war nicht aufdringlich, keine Alkoholikerin, auch nicht obdachlos, lediglich ein wenig versponnen und beinahe schon ein Teil des Bahnhofs, so viel Zeit brachte sie täglich in der großen Halle zu.
    Jetzt sah sie zu Mayer auf, und ihre dünnen Finger, um die sich die blasse Haut wie trockenes Pergament spannte, schlossen sich fester um den Knauf ihres Stockes. »Ich hab den jungen Mann reinkommen sehen und gleich gewusst, dass er was im Schilde führt«, berichtete sie. »Ich hab einen Riecher für so was, glauben Sie mir. Damals, als …«
    »Sie haben den Mann reinkommen sehen«, unterbrach Mayer sie. »Wie sah er denn aus?«
    Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Na, so ähnlich wie Sie. Groß und dunkelhaarig. Aber er hatte einen Anorak an, keinen Mantel.«
    »Wo haben Sie gestanden?«
    »An der Tür, bei dem Bäcker. Ich hab gerade mein Pfandgeld gezählt, da hat er mich angerempelt, weil er es so eilig hatte. Er hatte das Paket unter dem

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