Machtlos
Dammtorbahnhof erreichte, war dieser schon weiträumig abgesperrt, aber wie überall auf der Welt blieben die Menschen stehen und sammelten sich hinter dem rot-weißen Plastikband. Der alte historische Bahnhof gegenüber dem Universitätsgelände war ein kleines Zentrum für sich mit zahlreichen Geschäften, über denen auf vier Gleisen die Züge in einer Halle aus Stahlbögen und Glas ein- und ausfuhren. Die Polizei evakuierte immer noch Personen aus dem Gebäude. Burroughs beobachtete eine Frau, die beim Verlassen des Haupteingangs hastig einen Anorak über ihren Arbeitskittel zog, Hilfe suchend in die Menge jenseits des Absperrbandes blickte und sich dann gestikulierend an einen der uniformierten Beamten wandte. Mit einer beruhigenden Geste legte der Mann ihr eine Hand auf die Schulter und sprach kurz mit ihr, bevor er sie unter dem Band hindurchgehen ließ. Von den Umstehenden wurde sie sofort mit Fragen überhäuft, aber sie war genauso ahnungslos wie die Menschen auf der Straße. Abwehrend zog sie ihren Anorak enger um die Schultern und starrte auf das Bahnhofsgebäude.
Nach kürzester Zeit war das gesamte Areal rund um das Dammtor geräumt. Burroughs zog im Stillen den Hut vor der Effizienz der Ordnungskräfte, die trotz der akuten Gefahr die Aktion unaufgeregt und sicher durchgeführt hatten. Die Deutschen konnten so etwas.
Er mochte sich allerdings nicht vorstellen, wie es auf den Straßen der Stadt aussah. Der Verkehr staute sich bereits rund um den Bahnhof. Wie alle Großstädte war auch Hamburg ständig kurz vor dem Infarkt. Eine weiträumige Sperrung der Straßen in der Innenstadt würde in einem Radius von mehreren Kilometern alles zum Erliegen bringen. Mit der Isolierung des Dammtorbahnhofs war zudem eine zentrale Gleisverbindung in den Westteil der Stadt abgeschnitten.
Burroughs hob das Absperrband an. Sofort stellte sich ihm ein Polizeibeamter in den Weg. »Sie können hier nicht durch.«
»Ich denke doch«, bemerkte Burroughs und zückte seinen Ausweis. Der Beamte trat wortlos einen Schritt zurück und ließ ihn mit einer Geste der Entschuldigung passieren. Allein das flüchtige Zucken in dem Gesicht des Mannes verriet die Spannung, unter der er stand.
Anspannung lag auch in Mayers Bewegungen. Er stieg aus einem Einsatzwagen, der nur wenige Schritte von Burroughs entfernt in dem abgesperrten Bereich angehalten hatte, und warf einen kritischen Blick über die Menge der Schaulustigen auf der anderen Straßenseite, als überlegte er, ob sie im Falle einer Detonation dort sicher waren.
Burroughs ging auf seinen deutschen Kollegen zu. »Wie sieht es aus?«, fragte er.
»Das Team vom Bombenentschärfungsdienst müsste jeden Moment hier sein«, erwiderte Mayer und schlug den Kragen seines Mantels hoch. »Die Kollegen vom LKA haben eine mobile Einsatzzentrale am rückwärtigen Ausgang des Gebäudes aufgebaut. Dort laufen alle Informationen zusammen.«
»Ist es sicher, dass es sich um eine Bombe handelt und nicht um einen üblen Scherz?«
»Das werden wir erst wissen, wenn die Kollegen ihre Arbeit gemacht haben«, sagte Mayer. »Wenn uns der Laden hier nicht schon vorher um die Ohren fliegt.«
»Wo ist die Bombe platziert?«
»Im Erdgeschoss in einem der Müllbehälter gleich neben der Rolltreppe.«
Burroughs folgte Mayer zum Wagen. Das Bahnhofsgebäude ragte hell erleuchtet und unnatürlich still neben ihnen auf. Der Schneefall war dichter geworden, der Wind hatte sich gelegt. Eine einsame Krähe hockte auf einem der Steinbögen und blickte missmutig zu ihnen herüber. Ihr heiseres Krächzen hallte unheilvoll durch die kalte Luft. Es war der Moment, in dem die Welt den Atem anhält, bevor das Unheil losbricht. Burroughs war plötzlich froh, dass er in den Wagen einsteigen und der Atmosphäre entfliehen konnte.
»Wie sind die Sicherheitskräfte auf die Bombe aufmerksam geworden?«, wandte er sich wieder an Mayer.
»Ich habe noch keine näheren Informationen.«
Sie erreichten die rückwärtige Seite des Gebäudes. Die Zufahrt zu dem angrenzenden Kongresszentrum und den Tiefgaragen war komplett abgeriegelt. Mannschaftsbusse der Polizei und Löschfahrzeuge der Feuerwehr parkten auf der Straße. In sicherer Entfernung zum Bahnhof stand ein größeres Fahrzeug mit Antennen und Satellitenschüsseln auf dem Dach. Die mobile Einsatzzentrale. Ein uniformierter Polizist nickte Mayer flüchtig zu und öffnete ihnen, als sie näher kamen, die Tür.
Die meisten der Anwesenden waren Burroughs bekannt.
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