Machtlos
einen Ausschnitt dicht neben dem Kopf des Mannes. Es war eine Reflexion auf dem Glas der Anzeigentafel. Mayer erkannte darin das Gesicht von Safwan Abidi.
»Die Fahndung ist bereits raus«, sagte Burroughs.
Mayer suchte unwillkürlich nach Zeichen des Triumphs in der Haltung seines Gegenübers, fand aber nur Müdigkeit. Eine Müdigkeit, wie er sie selbst verspürte, als er wenig später durch die Trümmer der Bahnhofshalle schritt. Überall lag Schutt, bei jedem Schritt knirschten Scherben und Splitter unter seinen Sohlen, und über ihm klaffte ein riesiges Loch in der Decke, durch das sich die abgerissenen Schienen auf groteske Art und Weise herunterbogen. Das Metall war durch die Wucht der Detonation geborsten. Durch die nackte Stahlkonstruktion fiel der Schnee in feinen weichen Flocken und bedeckte einen aus den Trümmern herausragenden schwarzen Krähenflügel mit seiner kalten weißen Schicht. Mayer schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche in seiner Umgebung. Während seines Gesprächs mit Burroughs war der Druck in seinen Ohren endlich weniger geworden, und das Rauschen, das zeitweise alle anderen Geräusche zu übertönen drohte, ebbte ab. Mayer warf einen Blick auf den verlassenen Platz, wo der Krankenwagen geparkt hatte, in dem er versorgt worden war.
In der Einsatzzentrale war der Erste Bürgermeister Hamburgs eingetroffen, zusammen mit dem Senator für Inneres, dem die gesamte Polizei der Hansestadt unterstellt war.
»Die Presse verlangt eine Erklärung, und das zu Recht«, sagte der Bürgermeister gerade, als Mayer die Tür öffnete. »Wir müssen die Öffentlichkeit umfassend informieren, um Ängste abzubauen. Die Bürger dieser Stadt müssen das Gefühl haben, dass sie sicher sind, wenn sie auf die Straße gehen.« Er sagte es nicht, aber Mayer wusste, dass er an das Vorweihnachtsgeschäft dachte und an die Geschäftsleute, die seine Wähler waren.
Thomas Arendt, der Leiter des LKA , bekam seinen offiziell konsequenten Gesichtsausdruck, mit dem er sich gern der zivilen Welt gegenüber präsentierte, wenn es darum ging, unpopuläre Maßnahmen zu rechtfertigen. »Niemand in dieser Stadt ist sicher, solange wir nicht die Drahtzieher des Anschlags gefasst haben«, widersprach er dem Bürgermeister mit Nachdruck. »Je mehr Details bekannt werden, desto schwieriger gestalten sich für uns die Ermittlungen. Das Letzte, was wir in dieser Situation brauchen, sind Trittbrettfahrer.«
Ein uniformierter Polizist kam mit einem Tablett voller Kaffeebecher in die Einsatzzentrale. Der Bürgermeister trat einen Schritt zurück, als er als Erster etwas angeboten bekam. »Erst die Männer hier«, sagte er und wandte sich an seinen Innensenator. »Wir müssen die Sicherheitsmaßnahmen verstärken. Präsenz zeigen. Ich möchte an jeder Ecke in der Innenstadt mindestens zwei uniformierte Polizisten sehen.«
Der Innensenator räusperte sich und strich sich über seine beginnende Glatze. »Dafür haben wir nicht genug Personal.«
»Dann werden wir die Unterstützung, die uns die anderen Bundesländer für den Gipfel zugesagt haben, eben sofort anfordern.« Der Bürgermeister rückte seine Krawatte über dem blütenweißen Hemd zurecht und ließ sich von einem der beiden Sicherheitsbeamten, die ihn begleiteten, seinen Mantel geben. »Ich gehe jetzt raus und rede mit der Presse«, fügte er mit einem Seitenblick auf Arendt hinzu. »Bitte informieren Sie Ihre Leute darüber, dass niemand außer mir oder der Pressestelle des Rathauses befugt ist, sich gegenüber der Öffentlichkeit zu dem Anschlag zu äußern. Eine meiner Mitarbeiterinnen wird Ihnen ab sofort zur Seite gestellt, um Informationen zu sammeln und an mich weiterzuleiten.« Auf der Treppe wandte er sich noch einmal um. »In vier Wochen haben wir in dieser Stadt die politische Weltelite zu Gast. Bis dahin müssen wir mit dem Aufräumen fertig sein – in jeder Hinsicht.«
Über den großen Flachbildschirm verfolgten sie gleich darauf den Auftritt des Ersten Bürgermeisters vor der Kulisse des zerstörten Bahnhofs. Jenseits der Straße drängten sich trotz des Schneetreibens und der allmählich hereinbrechenden Dämmerung zahlreiche Schaulustige. In einem eigens abgesperrten Gebiet warteten Kamerateams und Reporter.
Die Sicherheitsbeamten sondierten die Menge. Mayer konnte ihre Nervosität verstehen. Keiner von ihnen wusste, wo sich der Attentäter aufhielt oder ob ein weiterer Anschlag geplant war. Er konnte dort inmitten der Menschenmasse
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