Machtlos
dabei hallten erneut Meisenbergs und auch Omar al-Almawis Warnungen in ihm wider.
Sprechen Sie mit niemandem über die Angelegenheit …Vertraue niemandem.
Die Geheimniskrämerei hatte sie bislang nicht weitergebracht. Ganz im Gegenteil. Er räusperte sich. »Folgendes ist geschehen …« Er bemühte sich, sachlich zu bleiben. Kühl. Distanziert. Auch das war verdammt schwer.
Danach sagte Torsten lange Zeit nichts. Er stand noch immer am Fenster. Aber er sah nicht hinaus, sondern auf den grau melierten Teppich zu seinen Füßen. Er war in Marcs Alter, ein großer schlanker Mann, verheiratet und Vater zweier Kinder. »Diese ganze Geschichte klingt unglaublich«, sagte er schließlich, schaute auf und schüttelte den Kopf. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde … Ich weiß nicht, ob ich dir glauben könnte. Andererseits haben wir natürlich alle mitgekriegt, was in der letzten Zeit in der Stadt los ist. Die Kontrollen, die erhöhte Polizeipräsenz. Und der Anschlag auf das Dammtor sitzt auch mir noch in den Knochen. Das lässt einen die Terrorismusdebatte plötzlich wieder in einem völlig anderen Licht sehen.« Er seufzte. »Aber bist du sicher, dass du den richtigen Weg gehst?«
»Ich weiß es nicht, Torsten«, gab Marc zu, »ich war noch nie in einer vergleichbaren Situation. Ich weiß nur, dass ich nicht länger untätig zusehen kann und darf. Ich muss etwas tun, um Valerie zu helfen.«
Torsten nickte langsam. »Ich werde dir soweit möglich hier im Haus den Rücken freihalten.«
Marc bedankte sich, ohne große Worte zu verlieren.
Torsten drückte flüchtig seinen Arm. »Ich muss mich für dein Vertrauen bedanken. Ich hoffe, du tust das Richtige, und es wendet sich alles wieder zum Guten.«
Als Marc zu Hause ankam, erwarteten die Zwillinge ihn schon. »Warum kommst du so spät?«, wollte Leonie wissen. Sie war die Selbstbewusstere der beiden und erinnerte ihn oft an Valerie. Jetzt gab es ihm einen Stich. Sophie legte schweigend ihre Hand in die seine und blickte aus ihren großen grauen Augen zu ihm auf.
Auf dem Rückweg hatte er fortwährend überlegt, wie er mit ihnen reden und was er ihnen erzählen würde. Er wollte ihnen keine Angst machen, ihnen nicht die Hoffnung nehmen und dennoch so dicht wie möglich an der Wahrheit bleiben.
Er zog die beiden auf seinen Schoß, jede auf ein Knie, wie er es tat, seit sie klein waren, und legte die Arme um sie. »Wir müssen über Mama reden.« Er spürte, wie sich Sophies kleiner Körper anspannte, während Leonie ihn aus zusammengekniffenen Augen ansah. »Erinnert ihr euch, dass Leonie vor ein paar Wochen in der Schule Ärger hatte, weil sie angeblich einen Füller kaputt gemacht hatte?«
»Ich war es aber gar nicht«, fiel ihm Leonie ins Wort.
»Das stimmt, aber erst einmal haben es alle behauptet, und keiner hat dir geglaubt, und du hast mit Janine zusammen einen neuen Füller gekauft. Erst hinterher haben wir herausgefunden, dass du nichts dafürkonntest.« Er räusperte sich. »Solche Dinge passieren manchmal auch bei Erwachsenen. Jemand wird beschuldigt, etwas getan zu haben, obwohl er unschuldig ist, und er kann dann ins Gefängnis kommen.« Er sah die beiden Mädchen an. »Das ist auch Mama passiert.«
»Mama ist im Gefängnis?«, entfuhr es Sophie. Tränen sprangen in ihre Augen. »Aber sie hat nichts getan, oder?«
»Nein, Schatz, Mama hat nichts getan.«
»Dann lassen sie sie auch bald wieder gehen.«
»Darum muss ich mich kümmern. Ich muss Mama helfen, damit sie beweisen kann, dass sie unschuldig ist. So wie wir das bei Leonie gemacht haben.«
»Der Mann auf der Straße hat gesagt, dass Mama im Gefängnis ist.« Leonies Stimme zitterte, als sie das sagte und ihn dabei vorwurfsvoll ansah. »Warum hast du gesagt, dass er lügt?«
Marc schluckte. »Ich wollte euch keine Angst einjagen. Aber dann habe ich darüber nachgedacht. Ich glaube, ihr seid alt genug, dass wir über das alles reden können.«
»Ich will nicht, dass Mama im Gefängnis ist. Ich will, dass Mama bei uns ist.« Sophie weinte nun bitterlich.
Auch Leonie kämpfte mit den Tränen. Unwirsch wischte sie sich mit der Hand über die Augen. »Können wir Mama besuchen?«
»Nein, zurzeit geht das nicht.«
»Papa, bald ist doch aber Weihnachten …«, schluchzte Sophie.
Marc seufzte. »Ich weiß, Kleines. Vielleicht ist Mama dann wieder bei uns.«
»Ohne Mama will ich kein Weihnachten feiern«, stieß Leonie aufgebracht hervor. Sie stand plötzlich auf und lief hinaus.
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