Machtlos
betrachtete die Spuren, die sich jenseits der Wege im Halbdunkel verloren. Stille Zeugnisse tierischen Lebens, das lautlos und unbemerkt um sie herum pulsierte.
Der neu gebaute Gefängnistrakt war das einzige beleuchtete Gebäude, das etwas abseits lag, gesichert durch einen weiteren Zaun. Burroughs passierte einen biometrischen Scanner und wurde eingelassen. Gleich hinter dem Eingang führte eine Treppe zu den unterirdisch angelegten Zellenblöcken. Es gab nur einen Gang, gesäumt von Stahltüren. Das Gefängnis war eine Festung, ein hochmoderner Bunker aus meterdicken Betonwänden und ausgerüstet mit neuester Technik. Und es existierte nicht.
Mit der Schließung der
black sites
war der CIA ein wichtiges Instrument zur Informationsbeschaffung verlorengegangen. Burroughs hatte nie verstanden, wie der Leiter der Agency dem Auflösungsplan hatte zustimmen können. Aber es war nun einmal das Los ihrer Behörde, mit jedem neuen Mann im Weißen Haus oft auch einen neuen Chef zu bekommen. Die Veränderungen, die diese Wechsel mit sich brachten, waren nicht immer zum Vorteil für die laufenden Operationen. Burroughs war nicht der Einzige, der im Laufe seiner Dienstjahre gelernt hatte, diese politischen Strudel zu umschiffen und eigene Wege zu gehen. Über die Anlage, die hier in den Wäldern Rumäniens mit Hilfe stillschweigender Seilschaften entstanden war, gab es keine Unterlagen, und sie fand sich in keinem Budget der CIA . Dennoch war sie besser ausgerüstet als so manche geheime Einrichtung in den Staaten. Hierher wurden nur politisch hochsensible Gefangene gebracht, bei denen die Geheimhaltung an erster Stelle stand. Burroughs hätte sich gewünscht, auch Mahir Barakat hier zu haben. Es hätte die Situation erheblich vereinfacht, aber die Syrer waren nicht zu einer Auslieferung bereit gewesen. Um die Aufmerksamkeit seiner eigenen Behörde nicht mehr als nötig auf sich zu ziehen, hatte Burroughs darauf verzichtet, Aufhebens um diese Weigerung zu machen. Im Nachhinein ein Glücksfall.
Er betrat die Überwachungszentrale. Monitore gaben Einblicke in jede Zelle, jeden Verhörraum. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Vor dem Schaltpult wippte eine junge Frau auf einem Stuhl gelangweilt vor und zurück.
»Hi, Carrie, wie sieht es aus?«, fragte Burroughs.
Sie zuckte die Schultern. »Nur das Übliche.«
Burroughs trat näher an die Bildschirme. Er musste nicht lange suchen.
»Holen Sie mir das Bild auf den großen Schirm«, verlangte er und tippte auf einen der Monitore.
Carries Finger huschten über die Tastatur, und der große Bildschirm vor ihnen sprang an. Eine Frau kauerte auf dem Boden in einer Ecke der Zelle. Sie hatte die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen. Ihr langes dunkles Haar war ungekämmt und hing ihr wirr ins Gesicht.
»Zoomen Sie sie ran«, sagte Burroughs.
Wieder huschten die Finger über die Tastatur. Die Kamera fuhr langsam näher heran. Burroughs sah, wie sich die Lippen der Frau bewegten.
»Haben wir Ton?«, fragte er.
Sekunden später erfüllte eine heisere Stimme den Raum.
»Sie spricht arabisch, betet irgendwelche Suren aus dem Koran herunter«, erklärte Carrie.
Burroughs unterdrückte seinen Ärger. Carrie traf sicher keine Schuld am Zustand der Frau. Sie hatte so gut wie keine Berührungspunkte mit den Gefangenen.
»Was habt ihr mit ihr gemacht?«, fragte er dennoch.
»Die üblichen erweiterten Methoden. Mehr nicht. Zumindest soweit ich weiß.«
Es musste etwas vorgefallen sein in den wenigen Tagen, die er nicht vor Ort gewesen war. Er hatte Kollegen, die bisweilen über das Ziel hinausschossen, jene, die schon zu lange hier draußen waren.
* * *
Valerie war nicht mehr in Hamburg. Es gab keine Hinweise auf ihren Aufenthaltsort. Sie war verschwunden, genauso wie Noor. »Vermutlich steckt der amerikanische Geheimdienst dahinter«, hatte Meisenberg gesagt.
Marc hatte den korpulenten Anwalt ungläubig angestarrt und wie ein Schlafwandler die Kanzlei verlassen. Etwas in Marc weigerte sich zu akzeptieren, was passierte. Vor wenigen Tagen noch hatten sie ein geschäftiges, aber doch normales Leben geführt. Solche Katastrophen standen in der Zeitung, in Büchern, passierten in Filmen. Die eigene Frau kannte keine Terroristen, die Bahnhöfe in die Luft sprengten. Die eigene Frau wurde nicht vom amerikanischen Geheimdienst verschleppt. Nicht hier. Mitten in Deutschland.
Er ließ den Wagen vor der Ampel ausrollen und betrachtete die Fußgänger, die vor ihm die Straße
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