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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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sich denken. Nicht daran, was passiert war.
    Er fixierte sie aus dunklen Augen. Wenn du nicht sprichst, weißt du, was geschieht, sagte dieser Blick. Er sagte noch mehr. Viel mehr. Aber sie wollte es nicht hören. Ihre Stimme zitterte, als sie zu sprechen begann. Sie beantwortete alle seine Fragen. Nach einer Weile erlaubte er ihr, etwas zu trinken. Schließlich ließ er sie in ihre Zelle zurückbringen.
     
    Sie träumte von ihm, seinen Augen. Seiner Stimme. Seinen Fragen. Er wurde zu einem Teil von ihr. Sie lebte und atmete auf sein Geheiß. Wenn er zufrieden war, bekam sie Wasser, manchmal auch etwas zu essen, sie durfte sich setzen, und er gab ihr Kleidung. Wenn sie ihn verärgerte, brachte er sie an jenen Rand des Todes, von dem er bei ihrer ersten Begegnung gesprochen hatte. Er drohte nicht, er handelte. Schnell, konsequent und mitleidslos.
    Sie wusste nie, ob sie ihn zufriedengestellt hatte, und sie konnte nie sicher sein, ob sie kamen, um sie zu ihm zu bringen, oder ob sie sie holten, um sie zu strafen, wofür sie eine Vielzahl von Methoden hatten. Sie lernte eine neue Dimension der Angst kennen, und sie erfuhr Schmerz in einem Maß, wie sie es niemals für möglich gehalten hatte.
     
    Sie sah Burroughs selten in dieser Zeit. Doch dann nahm er seinen Platz im Verhörraum ein, saß im Hintergrund und beobachtete, was mit ihr geschah.
    Sie lernte, ihn dafür zu hassen. Im Gegensatz zu ihrem Peiniger, dessen schwarzes T-Shirt so eng an seinem Körper lag wie eine zweite Haut, schien Burroughs Genugtuung zu empfinden, wenn er sie betrachtete; wenn seine Blicke über ihren Körper glitten, und wenn er ihre Qual verfolgte, war sie sicher, dass es ihm Befriedigung verschaffte. Genau wie ihn Safwans Hinrichtung befriedigt hatte. Sie begann sich während der Verhöre auf Burroughs zu konzentrieren, verfolgte, wie sein Atem schneller wurde oder seine Zunge seine Lippen benetzte. Wie er den Stift in seiner Hand drehte. Sie hasste seinen Bürstenhaarschnitt, der sie an Soldaten in schlechten amerikanischen Filmen erinnerte, und seine eingefallenen Wangen, und noch mehr hasste sie seinen ausgeprägten Adamsapfel, der beim Sprechen auf und ab hüpfte, als hätte er eine Murmel verschluckt. Und sie stellte sich vor, wie es wäre, ihn zu töten. Sie stellte sich vor, das, was ihr widerfuhr, mit ihm zu tun. Es half, ihren Schmerz und ihre Verzweiflung in Wut zu verwandeln. Es ließ sie überleben, ohne den Verstand zu verlieren. Als der andere bemerkte, was geschah, schickte er Burroughs fort. Es gab eine lautstarke Diskussion vor der Tür des Verhörraums.
    »Was glaubst du, wer du bist, Martinez!«, hörte Valerie Burroughs’ wütende Stimme, und plötzlich besaß sie einen Namen zu dem Gesicht, dem Tattoo und den Schmerzen.
    »Martinez«, wiederholte sie lautlos immer wieder. »Martinez.« Sie durfte ihn nicht vergessen.
    Als er zurückkam, erlebte sie ihn das erste Mal wütend.
     
    Dann kam der Tag, an dem sie aus ihrer Zelle in das Verhörzimmer gebracht wurde und Burroughs auf Martinez’ Platz vorfand. Fotografien lagen vor ihm auf dem Tisch. »Sag mir, wer von den Männern auf diesen Fotos den Anschlag plant«, befahl er.
    Valerie betrachtete die Bilder der jungen Männer. Sie sahen aus wie jüngere Brüder von Safwan und Mahir.
    »Ich kenne diese Männer nicht«, antwortete sie.
    Das war die falsche Antwort. Der Schlag traf sie so überraschend, dass sie nach vorn kippte. Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Sie stöhnte auf, benommen bemerkte sie, dass Blut aus ihrer Nase tropfte.
    Burroughs schob die Fotos über den Tisch auf sie zu. Sie blinzelte gegen den Schmerz und das Licht. Die plötzliche Übelkeit. Ihr Kopf dröhnte, und das Blut in ihrer Nase, das auf ihrem Shirt eine leuchtend rote Spur hinterließ, erschwerte das Atmen. »Welcher von diesen Männern plant den Anschlag?«, wiederholte Burroughs seine Frage.
    »Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang dumpf. »Welchen Anschlag überhaupt?«
    Der nächste Schlag traf sie in die Nieren. Sie ging in die Knie. Er stand auf und kam um den Tisch herum. »Steh auf«, sagte er kalt. Er hatte die Fotos noch immer in der Hand.
    Langsam kam sie wieder auf ihre Füße. Schwankte unsicher.
    Burroughs hielt ihr die Fotos wie einen Spielkartenfächer vor das Gesicht. Er nannte vier arabische Namen. »Ich will von dir hören, welcher dieser Männer beteiligt ist.«
    Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ein Zug lag um seinen Mund, den sie schon einmal bei ihm gesehen hatte.

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