Machtlos
Haar nur dunkle Stoppeln auf blasser Kopfhaut. Aber es war Noor. Sie lebte, atmete, stand ihr gegenüber, hier, an diesem von aller Hoffnung verlassenen Ort.
»Noor …« Valerie gelang es, gegen den Widerstand des Aufsehers an ihrer Seite ihre Freundin zu berühren. Registrierte aus dem Augenwinkel, wie die Ärztin eine Geste machte, die die Wachleute zurücktreten ließ. Valerie machte einen Schritt auf Noor zu und legte ihre Hand auf den ausgemergelten Arm ihrer Freundin.
Noor zuckte zurück. Zog hastig ihren Arm an sich und strich sich über die Stelle, wo Valerie sie berührt hatte, als hätte sie sich verbrannt. Valerie kamen die Tränen. »Noor, ich bin es, Valerie.«
Große dunkle Augen flogen über ihr Gesicht, aber es lag kein Erkennen darin.
Valerie ließ die Hand sinken. »Noor, weißt du denn nicht, wer ich bin?«
Noor sah sie nur an.
Die Ärztin stellte sich dazwischen.
»That’s enough«,
sagte sie,
»let her go.«
Der Wachmann stieß Valerie fort. »Noor!«, schrie sie und wehrte sich mit Händen und Füßen. »Noor!«
Ihre Zellentür fiel zu. Schluchzend hieb Valerie gegen das kalte Metall. Sank dahinter zu Boden. Noor war die ganze Zeit über hier gewesen, nur wenige Meter von ihr entfernt. Aber was hatten sie ihr angetan? »Noor …«, flüsterte Valerie. »Meine Noor …« Und für den Moment vergaß sie ihr eigenes Leid und ihre eigene Verzweiflung angesichts der Erinnerung an Noors qualvollen Anblick.
* * *
»Sie hat innere Blutungen. Wer auch immer sie zuletzt verhört hat, hat zu kräftig zugeschlagen«, sagte Marcia Moore und zog die Tür zu dem Krankenzimmer hinter sich zu. »Ich weiß nicht, ob ich die Blutungen stoppen kann. Und selbst dann ist es nicht sicher, ob es sie rettet. Sie ist zu geschwächt.«
Burroughs zuckte die Schultern. »Ich brauche sie nicht mehr. Sie gehört Ihnen. Machen Sie mit ihr, was Sie wollen. Vielleicht wäre es besser, sie überlebt nicht.«
Marcia beobachtete mit gerunzelter Stirn die Geräte, an die al-Almawi angeschlossen war. Burroughs verstand nicht, warum Marcia sie nicht einfach sterben ließ. Noor al-Almawi hatte ihren Zweck erfüllt. Die Person, die hier vor ihm lag, hatte nur noch wenig mit der Frau zu tun, die er zusammen mit seinen Mitarbeitern vor vier Wochen in Berlin in ihrem Hotel abgefangen hatte. Er erinnerte sich noch genau. Sie war gerade aus Kopenhagen zurück und auf dem Weg zu einer Veranstaltung gewesen. Sie hatte einen fließenden weißen Hosenanzug getragen, und an ihrem rechten Ringfinger hatte ein großer Diamant gesteckt. Ihr langes Haar war eine schimmernde schwarze Wolke. Sie hatte es eilig gehabt und irritiert die Stirn gerunzelt, als er sie ansprach. Noor al-Almawi war keine Frau, die tat, was man von ihr erwartete. Davor hatten ihn alle gewarnt. Und sie hatte sich in der Tat als schwierig erwiesen. Es hatte einige Anstrengungen gekostet, sie zu brechen, ohne sie zu töten. Sie zumindest so lange am Leben zu halten, wie sie sie brauchten. Sie hatte stoisch die Schmerzen ertragen und ihnen ins Gesicht gespuckt.
Marcia zog eine Spritze auf. »Mein Job ist es, die Gefangenen während der Verhöre medizinisch zu betreuen und ihre Vernehmungsfähigkeit zu garantieren, nicht sie zu töten, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.«
»Noor al-Almawi hat sich viele Feinde gemacht.« Burroughs wandte den Blick ab, als Marcia die Nadel ansetzte. »Und sie ist früher schon besonderen Verhörmethoden ausgesetzt gewesen. Sie war bereits kurzfristig im Iran und in Jordanien inhaftiert. Sie wird nicht lange überleben, wenn sie hier rauskommt und bekannt wird, dass wir sie hatten.«
»Das, Bob, liegt dann nicht mehr in meiner Hand«, bemerkte Marcia kurz angebunden.
Er verstand auch ohne einen weiteren Hinweis und verließ mit einem flüchtigen Gruß den Raum. Al-Almawi durfte die Anlage nicht lebend verlassen. Er war dafür bezahlt worden, und seine Auftraggeber würden äußerst unangenehm werden, wenn er sich nicht an die getroffenen Abmachungen hielt.
Sie wäre längst tot, hätte einer der Wachleute nicht die Nerven verloren.
Wer auch immer sie zuletzt verhört hat, hat zu kräftig zugeschlagen.
Marcia wusste, dass er derjenige gewesen war. Warum sagte sie es ihm nicht ins Gesicht? An der Reaktion des Wachmanns hatte er gemerkt, dass er zwar auf den ersten Blick schnell in das Team aufgenommen worden war, im Zweifelsfalle aber ein Außenseiter blieb. Bei Martinez wäre keiner dazwischengegangen. Aber Martinez hatte
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