Machtlos
Theorie, dass die Sprengsätze aufgrund der Enttarnung Abidis seit Längerem platziert waren und nur auf ihre Zündung warteten. Die verhafteten Männer schwiegen beharrlich zu diesen Vorwürfen, und dieses Schweigen ließ sich in die eine oder andere Richtung deuten. Die Wohnung und das Umfeld der beiden wurden weiterhin genauestens überwacht.
»Noch fehlen uns sowohl für die eine als auch die andere Vermutung die Beweise«, sagte Schavan. »Wir bräuchten mehr Zeit, um das Umfeld genauer zu untersuchen. Ich glaube nicht, dass die Täter bei einer so großen Sache völlig autark agieren.«
»Es gibt sicher Kontakte«, stimmte der Brite zu. »Ich habe meine Leute bereits darauf angesetzt, das Ganze von hinten aufzurollen. Wenn sie nicht sprechen wollen, müssen wir an anderer Stelle den Hebel ansetzen.«
Die Theorie, dass terroristische Anschläge zwingend einer internationalen Abstimmung folgten und eng in Kooperation mit al-Qaida ausgeführt wurden, vertrat Mayer längst nicht mehr. Aber es gab nicht viele, die seiner Meinung waren.
Natürlich hatten alle beteiligten Nachrichtendienste ihre Informanten in den verschiedensten Regionen der Welt, die sie mit den Hinweisen aus Hamburg fütterten, in der Hoffnung, so Beweise für die Verstrickungen der beiden Männer in ein mögliches Attentat zu erhalten. Alles war, wie Schavan es so richtig bemerkt hatte, eine Frage der Zeit. Nur die hatten sie nicht. Der Gipfel rückte unaufhaltsam näher.
Marion Archer kam auf sie zu und sah alles andere als taufrisch aus, lächelte aber dennoch freundlich in die Runde. »Meine Herren, wir werden oben im Besprechungsraum erwartet.«
Mayer wartete, bis auch sie sich einen Kaffee eingefüllt hatte, und ging mit ihr zum Fahrstuhl.
»Ich weiß noch nicht, wie ich es bewerten soll, dass unsere Ermittlungen so plötzlich Fahrt aufnehmen«, sagte sie. »Hat Ihre Abteilung schon nähere Erkenntnisse zu den Informationsquellen?« Sie formulierte ihre Frage etwas zu beiläufig für Mayers Geschmack. Archer musste klar sein, dass die entscheidende Information, die zur Festnahme der Männer aus Harburg führte, nur von einer Person stammen konnte.
»Wir arbeiten noch dran«, erwiderte er ausweichend. Er war nicht bereit, sein Wissen über Valerie Weymann und ihren Verbleib zu teilen.
Das Treffen im Besprechungsraum erwies sich als ein kurzes Briefing. Als Mayer dreißig Minuten später in sein Büro zurückkam, wartete Florian Wetzel dort bereits auf ihn. Er wippte auf dem Stuhl, die Füße gegen den Schreibtisch gestemmt, einen Aktenordner auf dem Schoß und einen angebissenen Apfel in der Hand. Mayer war sich nicht sicher, ob er nach dieser Nacht für diesen genialen Chaoten noch in Stimmung war. Mit gerunzelter Stirn blieb er im Türrahmen stehen. Wetzel nahm die Füße vom Tisch und grinste ihn unter seinem wirren Haarschopf hervor an. »Hi, Chef, so wie Sie aussehen, muss der Kaffee richtig schlecht sein.«
Mayer starrte unwillkürlich auf den Becher in seiner Hand. Dann seufzte er. »Florian …«
»Ich hab schon gehört, dass Sie der Einzige sind, der die Qualität des nächtlichen Fangs in Frage stellt«, fiel Wetzel ihm ungeniert ins Wort. »Und ich hab was gefunden, das Sie vielleicht wieder aufmuntert.« Er ließ den Aktenordner auf den Tisch fallen, sprang vom Schreibtischstuhl auf und machte eine einladende Geste.
»Worum geht es?«, wollte Mayer wissen.
Wetzel lächelte. »Lesen Sie selbst.«
Mayer überflog die aufgeschlagene Seite. Es war eine Aktennotiz aus dem Polizeirevier des Hamburger Flughafens. Ein gewisser Safwan Abidi war dort entdeckt worden bei einem Abgleich von Videobändern mit Fahndungsfotos.
»Die lassen das durch ihren Rechner laufen, und der hat ihnen das ausgespuckt«, erklärte Wetzel. »Das Foto ist auf der nächsten Seite.«
Mayer blätterte um und sah ein Schwarzweißfoto von Abidi, der vor dem Flughafengebäude in ein Taxi stieg.
»Und?«, fragte Mayer.
Diesmal war es Wetzel, der seufzte. »Das war wirklich eine lange Nacht, was? Sonst sind Sie besser.«
Mayer betrachtete das Foto genauer.
»Unten links«, bemerkte Wetzel.
Unten links stand das Datum und die Uhrzeit, zu der die Aufnahme gemacht worden war.
Alle Müdigkeit war vergessen, als Mayer begriff, was er in Händen hielt. »Das ist exakt die Zeit, zu der Abidi am Dammtorbahnhof war, um den Sprengsatz zu deponieren«, erklärte er erstaunt. »Woher haben Sie das?«
»Es war in einem falschen Ordner. Jemand hatte es
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