Machtlos
einmal tief durch, während er den Lauf der Pistole weiter auf Martinez gerichtet hielt. »Leg dich nicht mit mir an, Don. Mach deine Arbeit und halt die Klappe.«
Martinez’ Gesichtsmuskeln spannten sich an, als er um seine Beherrschung kämpfte. Seine dunklen Augen funkelten. »Du hast einen Fehler gemacht, Burroughs«, sagte er, und die plötzliche Ruhe in seiner Stimme jagte Burroughs einen Schauer über den Rücken. »Mich fickst du nicht.«
Burroughs sah ihm nach. Er steckte die Pistole erst weg, als Martinez außer Sicht war und er hörte, wie eine Tür zuschlug.
Für wen arbeitest du?
Es würde nicht einfach werden, Martinez loszuwerden.
* * *
Marc Weymann schlug den Kragen seines Mantels hoch. Es schien in Berlin noch kälter zu sein als in Hamburg. Nur anderthalb Zugstunden trennten die Städte; ein Katzensprung. Tatsächlich lagen jedoch Welten zwischen ihnen. Hinter ihm fuhr der ICE mit leisem Rauschen weiter Richtung Leipzig. Menschen füllten den Bahnsteig und strebten den Rolltreppen zu. Marc ließ sich mittragen von der Masse hinauf in die Oberwelt des Bahnhofs, dessen gigantische Ausmaße ihn jedes Mal aufs Neue beeindruckten. »Das ist Science-Fiction«, hatte er zu Valerie bei ihrem letzten gemeinsamen Besuch der Hauptstadt gesagt, und sie hatte gelacht.
Der Taxifahrer, bei dem er einstieg, hörte Jazz. »Wenn die Musik nervt, mach ich sie aus«, sagte er in breitem Berlinerisch. »Wo soll’s denn hingehen?«
»Bundeskanzleramt«, sagte Marc und warf einen Blick auf seine Uhr. »Wie lange brauchen wir?«
»Keine zwei Minuten.« Der Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel. »Keine Lust auf die Kanzlerbahn gehabt?«
»Auf dem Rückweg.«
Der Fahrer überquerte die Spree und hielt kurz darauf vor dem Eingang des modernen Gebäudes, dessen helle Stahl-Glas-Konstruktion auf Marc im kalten Dezemberlicht distanziert und abweisend wirkte. Offenheit, Transparenz und Demokratie sollte die Architektur des Gebäudes symbolisieren, das hatte er irgendwo einmal gelesen. Wenn er sich vor Augen hielt, warum er hier war und was er in den vergangenen Tagen erlebt hatte, empfand er diese Symbolik geradezu als zynisch. Mehr Offenheit und Transparenz hätte er sich gewünscht im Umgang mit den Behörden, und auch sein Verständnis vom Leben in einer Demokratie war ein anderes. Alles in Marc zog sich schmerzhaft zusammen, als ihm bewusst wurde, wie sehr er Valerie vermisste. Wie groß seine Angst war, sie für immer zu verlieren. Und selbst wenn es gelang, ihre Freilassung zu erwirken, wenn er heute tatsächlich Hilfe bekam, wie würde es sein, sie wiederzusehen, was würde sie erlebt haben? Die Menschenrechtlerin in Hamburg hatte ihn gewarnt, dass es kein nahtloses Anknüpfen an die Zeit vor Valeries Verhaftung geben würde. »Sie wird traumatisiert sein, selbst wenn sie nur kurze Zeit misshandelt worden ist. Je nach der Schwere der Taten wird es Wochen, vielleicht sogar Monate dauern, bis sie wieder die Frau sein wird, die Sie kennen, und es wird Bereiche geben, in denen sie sich vielleicht nie wieder öffnen wird. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.«
Trotz des Unbehagens, das die Worte in Marc ausgelöst hatten, war er dankbar gewesen für Franka von Sandts Offenheit. Sie hatte ihm ein Blatt mit Adressen in die Hand gedrückt, an die er sich wenden konnte, wenn Valerie wieder bei ihm war. Er hatte es erst nicht nehmen wollen. Es lag noch so viel vor ihnen. Noch so viel zwischen ihm und ihrer Rückkehr. Betrachten Sie es als ein Stück Hoffnung, hatte sie gesagt. Seither trug er es in seiner Brieftasche.
Seine Finger schlossen sich um die Aktentasche unter seinem Arm. Die Beweise, die er darin hatte. Franka von Sandts Organisation hatte herausgefunden, wo Valerie festgehalten wurde. Sobald Marc die Information erhalten hatte, hatte er versucht, Meisenberg zu erreichen. Dr. Kurt Meisenberg hat phantastische Beziehungen in die Politik, hatte Franka von Sandt ihm gesagt, und Marc hatte sich gefragt, woher sie das wusste.
Marc war mit dem Seniorpartner von Valeries Kanzlei im Foyer des Bundeskanzleramtes verabredet. Meisenberg wartete schon am Fuß der monumentalen Freitreppe und winkte Marc zu, als dieser das Gebäude betrat.
Wider Erwarten hatte Meisenberg Marcs Alleingang begrüßt. »Ein richtiger Schritt, wenn auch vielleicht etwas überstürzt.« Marc konnte seinen Ärger darüber nur mühsam unterdrücken, doch Meisenberg hatte auf seine behäbige Art den Kopf geschüttelt.
Weitere Kostenlose Bücher