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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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Anschlag in Hamburg geplant haben. Woher kennst du sie?« Immer wieder dieselben Fragen. Schnell und zusammenhanglos.
    »Ich weiß es nicht mehr«, sagte sie benommen.
    Martinez fixierte sie über den Tisch hinweg. »Woher kennst du sie?« Seine Stimme war eisig.
    Sie versuchte, sich zu konzentrieren. Was hatte sie das letzte Mal auf diese Frage geantwortet? Sie war so müde. »Noor … ich habe sie bei Noor kennengelernt …«
    Martinez blickte auf die Protokolle, die vor ihm lagen. »Ich habe dir die Frage schon viermal gestellt, und jedes Mal hast du mir eine andere Antwort darauf gegeben. Und das war nicht nur bei dieser Frage so. Du weißt, was geschieht, wenn du mich anlügst.«
    Sie hörte, wie einer der Männer, der noch im Raum war, einen Schalter umlegte, wie er die Kabel aufnahm.
    »Nein«, flehte sie ihn an. »Bitte, nicht …« Strom hinterließ kaum Spuren. Nur unglaubliche Schmerzen. Martinez achtete sehr darauf, dass es keine Spuren gab.
    Jetzt zog er die Brauen zusammen. »Warum lügst du mich an?«
    Sie begann zu weinen. »Ich … ich will ja nicht lügen«, stammelte sie. »Ich … kann mich … nur nicht erinnern.«
    Martinez stand auf. Unter seinem engen schwarzen Shirt spielten seine Muskeln. Er trat zu ihr, beugte sich herab und griff unter ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. »Ich will, dass du dich erinnerst«, sagte er. »An jede kleine Einzelheit deiner Begegnung mit ihnen.«
    Sie antwortete nicht. Sah ihn nur verzweifelt an.
    »Du kannst es nicht, nicht wahr?«, sagte er. »Du kannst dich nicht erinnern, weil du ihnen nie begegnet bist.«
    Ihre Tränen liefen über seine Finger.
    Er ließ sie los. »Bringt sie weg«, befahl er und verließ den Raum. Die Tür fiel lautlos hinter ihm ins Schloss.
    Einer der Männer löste ihre Fußfessel. Valerie zitterte am ganzen Körper vor Müdigkeit und vor Angst vor den Konsequenzen. Martinez würde nicht darüber hinwegsehen, dass sie ihm nicht die Wahrheit erzählt hatte, und er hörte sich niemals Entschuldigungen an. Aber was war die Wahrheit? Dass sie nichts wusste von alldem, wozu sie immer und immer wieder befragt wurde? Dass sie die Menschen nicht kannte, deren Fotos sie ihr vorlegten? Sie hatten ihr nicht geglaubt. Und so hatte sie schließlich erzählt, was sie hören wollten. Weil sie die Schmerzen nicht mehr ertragen hatte. Weil sie vor Durst fast verrückt geworden war. Und weil sie nicht vergessen hatte, was in der ersten Nacht geschehen war.
    Der Wachmann führte sie durch den Gang des Zellentraktes. Er wurde gesäumt von nackten, abweisenden Wänden wie in einem Keller, unterbrochen nur von den schweren, rostrot gestrichenen Zellentüren, von denen jede eine große weiße Nummer trug. Ihre Zelle war die Nummer zwei. Der Wachmann schob gerade den Riegel zurück, als sich auf der gegenüberliegenden Seite eine der Türen öffnete. Nummer fünf. Eine Frau trat heraus. Sie hatte kurzes blondes Haar und trug einen weißen Kittel. Sie hielt eine Tasche in der Hand. Eine Ärztin, schoss es Valerie durch den Kopf. Einer der Sicherheitsleute folgte ihr und zog eine Person hinter sich her in den Flur. Valerie blieb unwillkürlich stehen. Seit sie hier war, hatte sie noch keinen der anderen Gefangenen zu Gesicht bekommen. Manchmal hatte sie ihre Schreie gehört, aber sie waren wie unsichtbare Geister, von denen sie nicht wusste, ob sie vielleicht doch nur in ihrer Phantasie existierten. Die Gestalt, die aus der Zelle ins Licht geschleppt worden war, sah erbarmungswürdig aus. Das Haar kurz geschoren, der Körper ausgemergelt. Orientierungslos stolperte die Person hinter dem Wachmann her. Fetzen von Kleidung schlotterten um sie herum. Valerie erstarrte, als sie näher kam. Es war eine Frau.
    Der Wachmann, der Valerie am Arm hielt, schob sie in ihre Zelle.
»Move«,
forderte er sie unfreundlich auf.
    Valerie machte einen Schritt, ohne die Augen von der Frau zu nehmen, die in diesem Moment mit Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand in einer flüchtigen Geste über ihre Augenbrauen fuhr, als ob sie sie glätten wollte. Valerie erkannte die Geste. Und es gab nur einen Menschen, der sie so unbewusst ausführte. In so einer völlig absurden Situation.
    »Noor!«, entfuhr es Valerie.
    Die Frau hob den Kopf und starrte sie an. Es war, als würde Valerie auf ein grotesk verzerrtes Bild ihrer Freundin blicken.
    Noors Augen in einem fremden Gesicht. Ihr Mund, dieser schöne, sinnliche Mund, verbissen und schmal. Statt kunstvoll aufgestecktem

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