Machtlos
seinem Stuhl. »Ich denke, wir haben jetzt alle eine Menge zu tun«, sagte er abschließend. »Und ich nehme an, Sie sind meiner Meinung, wenn ich vorschlage, dass wir die gesamte Angelegenheit mit einer Nachrichtensperre versehen und die Informationen als streng geheim behandeln. Die Gegenseite darf unter keinen Umständen erfahren, dass wir über ihre Täuschung im Bilde sind.« Ein allgemeines zustimmendes Gemurmel ging durch die Menge.
Mayer verließ den Raum, um mit seinem Vorgesetzten, den er bislang nur mit einer kurzen SMS über die Entwicklung informiert hatte, zu telefonieren. Auf dem Flur fing ihn jedoch Archer ab. »Seit wann sind Sie an der Sache dran?«, wollte sie wissen.
»Seit zwei Tagen«, erwiderte Mayer.
»Ich habe gedacht, wir hätten ein besseres Verhältnis«, bemerkte sie kühl und wandte sich ohne ein weiteres Wort ab.
»Fühlt sich da jemand schlecht behandelt?« Mayer wandte sich zu Wetzel um, der den Wortwechsel gehört hatte und sich einen Kommentar nicht verkneifen konnte.
»Finden Sie raus, wo Mahir Barakat festgehalten wird«, wies Mayer ihn an. »Und suchen Sie noch einmal alles zusammen, was wir über Kopenhagen haben.«
Wetzel rieb sich die Nase. »So was Ähnliches wollte John Miller auch gerade von einem seiner Mitarbeiter. – Hab ich ganz zufällig mitgekriegt«, fügte er mit unschuldigem Gesicht hinzu, als Mayer fragend eine Braue hochzog. Wetzel trat einen Schritt näher zu Mayer und fragte leise: »Hat die CIA vielleicht irgendwo ihre Finger drin?«
Mayer sah nachdenklich den Flur hinunter. »Welchen Vorteil hätten sie davon?«
»Ich könnte versuchen, dazu etwas herauszufinden«, schlug Wetzel vor.
»Behutsam, Florian«, mahnte Mayer. »Ganz behutsam.«
»Sie kennen mich doch, Chef.« Wetzel grinste.
»Eben drum«, erwiderte Mayer und lächelte, als er seinem jüngeren Kollegen nachblickte, der, die Hände tief in den Taschen seiner viel zu weiten Jeans vergraben, Richtung Fahrstuhl ging. Als er kurz darauf wieder allein in seinem Büro war, war das Gefühl der Leichtigkeit bereits wieder verflogen. Er hatte einen Etappensieg erreicht. Die Bergetappe lag noch vor ihm.
* * *
Valerie konnte Noors Anblick nicht vergessen. Den kahlen Kopf und die großen dunklen Augen, aus denen ihre Freundin sie angesehen hatte, ohne sie zu erkennen. Sie hatte versucht, sich einzureden, dass die Frau, der sie im Zellengang begegnet war, nicht mehr die Noor war, die sie kannte. Es war ihr nicht gelungen.
Noor war immer stolz gewesen auf ihr langes Haar. »Einhundert Bürstenstriche jeden Tag«, hatte sie einmal lachend gesagt, als Valerie sie gefragt hatte, worin das Geheimnis von Glanz und Seide lag. Schon im Mittelalter hatte langes Haar bei Frauen als Zeichen von Freiheit und Stand gegolten, und die Inquisitoren hatten sich nie gescheut, ihren weiblichen Opfern als Erstes die Schädel zu scheren, um sie zu erniedrigen, bevor sie sie zu Tode quälten. Valerie ließ den Kopf gegen die Wand sinken und fragte sich, wann sie ihr die Haare abrasieren würden. Wann sie sie töten würden.
Sie hatte keine Vorstellung davon, wie lange sie schon in diesem Gefängnis war. Tage, Wochen. Es gab Menschen, die Monate, Jahre in solchen Lagern festgehalten wurden. Wie überlebten sie, ohne verrückt zu werden?
Jedes Mal, wenn sie dich an den Rand des Todes bringen, stirbt ein Stück von dir. Noor hatten sie einmal zu viel an jenen Rand gebracht. Und wer überlebte, tatsächlich die Mauern durchbrechen konnte, ließ doch einen Teil seines Lebens dahinter zurück. Hoffnungen und Ängste klebten an ihnen wie grober Putz, und manchmal, wenn sie zu schwer wurden, blätterten sie ab, kleine Häufchen menschlicher Erinnerung, die sich verloren und dennoch ein Vergessen unmöglich machten.
Das Schlimmste war das Warten auf jenen Lichtstreif, der das Dunkel der Zelle durchbrach, das metallische Schaben des Riegels, das Wasser, Nahrung, aber auch Fragen und Schmerz bedeuten konnte. Sie wusste nie, was kam, noch wann. Auch diesmal nicht, als die Schritte auf dem Zellengang vor ihrer Tür innehielten. Sie kroch in die hinterste Ecke, kauerte sich zusammen, die Erinnerung an jene erste Nacht war noch immer in ihr wach.
Es war Martinez, dessen Umriss im Licht auftauchte. Überall hätte sie ihn wiedererkannt. »Steh auf«, sagte er.
Sie schob sich an der Wand entlang nach oben, spürte den rauhen Beton unter ihren Handflächen und an ihrem Rücken.
Er machte einen Schritt auf sie zu. Er hielt
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