Machtlos
Schluck aus seiner Flasche, dann antwortete er. »Ich hab den anderen Kindern das Spielzeug geklaut«, sagte er.
Erst am nächsten Tag sollte Burroughs begreifen, was Martinez mit dieser Bemerkung tatsächlich gemeint hatte.
Er fand Martinez im Fitnessraum.
»Wo ist sie?«, fragte er.
Martinez unterbrach seine Klimmzüge nicht. »Wer?«, fragte er, und Burroughs war gezwungen, das Spiel seiner Muskeln zu beobachten, als er seinen Körper langsam nach oben zog. Er verspürte den unbändigen Drang, auf Martinez einzuschlagen und das kaum merkbare Lächeln, das trotz der Anstrengung in dessen Mundwinkeln lag, aus ihm herauszuprügeln. Burroughs wusste, dass er in einer direkten Konfrontation unweigerlich den Kürzeren ziehen würde. »Du weißt genau, wen ich meine«, sagte er gepresst.
Martinez löste sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit von seinem Trainingsgerät und griff nach seinem Handtuch. »Weiß ich das?«
Er fuhr sich mit dem Frottee durchs Gesicht und machte einen Schritt auf Burroughs zu. »
Du
weißt genau«, begann er, und seine Stimme bekam einen gefährlichen Unterton, »dass sie hier nichts zu suchen hatte.«
»Das kannst
du
überhaupt nicht beurteilen.« Burroughs’ Selbstbeherrschung brach. Er stieß Martinez gegen die Brust. »Mach hier deine verdammte dreckige Arbeit und halte dich aus Sachen raus, die dich nichts angehen!«
»Erzähl du mir nichts von dreckiger Arbeit. Für wen räumst du denn die Scheiße aus dem Weg?«, erwiderte Martinez kalt. Bevor sich’s Burroughs versah, schlug er zu. Ein stechender Schmerz zog durch Burroughs’ Eingeweide. Er ging in die Knie. Martinez packte ihn am Kragen und zog ihn wieder hoch. »Na, los, spuck’s aus.«
Burroughs rang um Luft. »Ich bring dich um, Martinez«, stieß er hervor.
Martinez ließ ihn so abrupt los, dass Burroughs zurücktaumelte. »Das haben schon viele versucht«, sagte er und wandte sich ab. Burroughs tastete nach seiner Waffe. Sie war nicht da. Schweiß brach ihm aus. Martinez war inzwischen bei der Tür angelangt, das Handtuch über der rechten Schulter, in seiner linken Hand entdeckte Burroughs seinen Revolver. Martinez ließ ihn von seinem Finger baumeln, als er sich noch einmal umwandte. »Ich krieg raus, für wen du arbeitest. Verlass dich drauf.«
Burroughs unterdrückte einen Fluch. Er musste Valerie Weymann finden, bevor es ein anderer tat. Martinez wusste vermutlich, wo sie war. Und er musste eine Lösung für Martinez finden.
Als ob all das noch nicht genug war, erhielt er kurz darauf einen Anruf von einem seiner Vertrauten aus dem Headquarter. »Wir haben eine Anfrage von der deutschen Botschaft in Bukarest bekommen. Es geht um Valerie Weymann. Sie wollen einen Mitarbeiter schicken, um zu klären, warum sie in unserem Lager ist.«
»Sie ist nicht mehr hier«, klärte Burroughs ihn auf.
»Wie meinst du das? Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Burroughs ungehalten. »Jemand hat sie gehen lassen, fortgebracht … Ich habe keine Ahnung.« Er sagte kein Wort über Martinez. Das war eine Angelegenheit, die er selbst in die Hand nehmen würde.
Sein Gegenüber am Telefon räusperte sich. »Die Situation ist unangenehm«, sagte er. »Wir bewegen uns mit dem Lager, wenn wir es genau nehmen, auf illegalem Gebiet, selbst wenn wir den guten Willen der rumänischen Regierung besitzen. Kleine Zwischenfälle wie dieser können unangenehme Folgen haben.«
Nachdem Burroughs aufgelegt hatte, blickte er nachdenklich aus dem Fenster auf den tief verschneiten Wald um das Gelände. Wenn die deutsche Botschaft intervenierte, konnte nur Mayer dahinterstecken. Was war in Hamburg los?
»Die deutschen Ermittlungen haben ergeben, dass Abidi nicht verantwortlich ist für den Dammtor-Anschlag, und du hältst es nicht für nötig, mich zu informieren?«, bellte er durchs Telefon, als er von Miller hörte, was geschehen war.
»Du hältst es ja auch nicht für nötig, nach Hamburg zurückzukehren, obwohl ich dich mehrfach darum gebeten habe«, erwiderte Miller gereizt.
Burroughs knallte den Hörer auf. Als er sich umwandte, sah er Marcia in der Tür stehen.
»Gibt es Ärger?«, fragte sie. Ihr Blick verriet ihm, dass sie alles mit angehört hatte.
»Wie geht es al-Almawi?«, erwiderte er nur.
»Sie ist tot. Das ist es doch, was du wolltest.«
Seine Anspannung entlud sich in einem Seufzer, und er zwang sich zu einem Lächeln. »Gut, sehr gut.«
Sie zog eine Braue hoch. »Könnte es sein, dass du etwas missverstehst?«,
Weitere Kostenlose Bücher