Machtlos
fragte sie. »Glaubst du tatsächlich, ich hätte sie sterben lassen, weil du mich darum gebeten hast?« Als sie sein überraschtes Gesicht sah, lachte sie auf. Es war kein schönes Lachen. »Du denkst zu viel mit deinem Schwanz, Bob.«
* * *
Die Nachricht, dass der deutsche Botschafter in Rumänien beauftragt worden war, sich des Falls Valerie Weymann anzunehmen, erreichte Marc beim Packen am Morgen des 23. Dezember. Seine Hände zitterten so sehr, dass er kaum den Reißverschluss der Reisetasche zuziehen konnte. Sie hatten Erfolg gehabt. Die Fahrt nach Berlin war nicht umsonst gewesen. Am liebsten wäre er selbst nach Rumänien gereist. Das untätige Warten zehrte an seinen Nerven.
Er hatte beschlossen, über Weihnachten den Schulterschluss mit der Familie zu suchen und mit den Mädchen zu seiner Schwester zu fahren, die mit Mann und Kindern einen alten Bauernhof in der Nordheide bewohnte, etwa fünfzig Kilometer südlich von Hamburg. Catrins Kinder waren im Alter der Zwillinge, und Marc hoffte, dass allein schon der Ortswechsel und das Zusammensein mit anderen Leonie und Sophie über die Abwesenheit ihrer Mutter hinweghalf. Sie reisten bereits einen Tag vor dem Fest ab; Marc auf Abruf und nicht ohne Laptop und Mobiltelefon, um jederzeit für mögliche Nachrichten erreichbar zu sein.
Der Hof lag am Ortsrand. Draußen auf dem Land war der Schnee weiß und sauber. Anders als in der Stadt, wo Ruß und Schmutz ihn mit einer unansehnlichen grauen Schicht bedeckten. Catrin und ihr Mann Tomas, ein Ungar, der bei den Hamburger Philharmonikern Cellist war, begrüßten sie mit einer Herzlichkeit und Wärme, die Marc und seinen Töchtern nach den Erlebnissen der beiden vergangenen Wochen die Seele streichelte. In der Diele des Hauses wartete bereits ein großer Tannenbaum auf die Kinder, der von ihnen geschmückt werden wollte, und Leonie und Sophie waren die ersten anderthalb Tage vollauf mit den Vorbereitungen für das Fest beschäftigt und damit, all die Tiere im Haushalt zu begrüßen. Sie schleppten die Katzen durch die Gegend, spielten mit den Hunden, und Catrin nahm sie mit in den Stall, wo sie die Ponys für einen Ausritt durch den Schnee sattelten. Es war eine unwirkliche Idylle, in der die Mädchen für eine Weile ihre Trauer um die Abwesenheit ihrer Mutter vergaßen. Spät an Heiligabend kamen dann aber doch die Tränen. »Mama ist jetzt ganz allein«, sagte Sophie plötzlich, die zwischen Spielzeug und zerrissenem Geschenkpapier auf dem Boden saß. Kerzenlicht tanzte über ihren Blondschopf, als sie den Kopf senkte und zu weinen begann. Es war Leonie, die als Erste bei ihrer Schwester war und den Arm um sie legte.
Marc gelang es nicht, die Welt außerhalb des Hofes auszublenden und sich so zu vergessen wie seine Töchter. In Gedanken durchlebte er all die Feste, die er mit Valerie zusammen verbracht hatte. Weihnachten war eine gefährliche Zeit, überladen von Emotionen, die nur schwer zu kontrollieren waren. Kleinste Begebenheiten riefen Bilder und Erinnerungen hervor, die ob ihrer Intimität besonders schmerzten. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, während er auf den erlösenden Anruf wartete. Wenn die Kinder im Bett waren, saß er mit Catrin und Tomas zusammen, und natürlich sprachen sie über Valerie und ihre Situation, über die Möglichkeiten, die es gab. Marc fühlte sich nicht wohl dabei. Die wohl gemeinte Sorge seiner Schwester und ihres Mannes machte ihn beinahe aggressiv. Ihre Fragen und Vorschläge. Er war es müde zu erklären. Er war es müde, immer wieder dieselben Gedankenschleifen zu durchleben. Er hatte in den vergangenen zwei Wochen nicht einmal mit einer Handvoll Menschen über Valerie gesprochen und das, was ihn bewegte. Das meiste hatte er mit sich selbst ausgemacht. Er musste sich zusammenreißen, damit seine Gereiztheit den anderen nicht die Stimmung verdarb.
Dann, am zweiten Weihnachtstag – sie saßen gerade beim Essen –, erreichte ihn der ersehnte Anruf Meisenbergs. Die Nummer des Anwalts auf dem Display ließ sein Herz höher schlagen. Er ging in die Küche, um ungestört zu sprechen.
»Ihre Frau ist nicht mehr in dem amerikanischen Lager«, sagte Meisenberg. Seine Stimme klang ungewohnt müde. »Ich habe eben eine SMS des Staatssekretärs erhalten und ihn sofort angerufen, um Näheres zu erfahren.«
»Das verstehe ich nicht.« Marcs Verstand blockierte. »Wenn sie nicht mehr dort ist, wo ist sie dann?«
»Das weiß angeblich niemand.«
Marcs Hände
Weitere Kostenlose Bücher