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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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essen zu bringen, was Valerie jedoch nicht anrührte. Ihr wurde schlecht beim bloßen Gedanken daran. Bei jedem Geräusch zuckte sie zusammen, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie wünschte sich, sie hätte eine Waffe. Sie würde Burroughs erschießen, sobald er den Raum betrat. Sie wusste nun, dass er sie nach Rumänien gebracht hatte, in das Herz dieses korrupten und von einer gierigen Mafia regierten Landes. Sie befanden sich im alten Siebenbürgen, mitten in der Bergregion der Karpaten.
     
    Es dämmerte bereits, als Vesna zurückkam. Sie brachte einen Schwall kalter Luft mit in den Raum, und ihre Wangen waren gerötet. »Wir müssen fort. Sofort.« Sie half Valerie aufzustehen, sich anzuziehen.
    Ich muss nach Bukarest in die deutsche Botschaft, dachte Valerie panisch. Und ich brauche ein Telefon. Sie musste Marc anrufen. Meisenberg.
    Sie folgte Vesna langsam in eine Küche, in der das einzig moderne Gerät ein Kühlschrank war, der in dem Moment, in dem sie durch die Tür traten, zu summen begann. Vesna nahm eine Tasche von einem Haken an der Wand und packte hastig einige Lebensmittel ein.
    »Hast du ein Telefon?«, fragte Valerie. »Ich muss …«
    »Tut mir leid«, fiel Vesna ihr ins Wort. »Es gibt nur zwei Haushalte in diesem Dorf, in denen es ein Mobiltelefon gibt.« Vesnas Blick und ihr Tonfall ließen Valerie aufhorchen. Etwas war passiert. Ihre Finger krampften sich um die Jacke, die sie in der Hand hielt. Sie erinnerte sich an das Geld, das Martinez ihr gegeben hatte. Wo war es geblieben? Dann hörte sie ein Geräusch aus dem Nebenzimmer. Schritte. Valerie starrte Vesna an. »Es tut mir leid«, flüsterte diese.
    Der Mann, der in der Tür auftauchte, grinste selbstgefällig, als er Valerie sah, und sie kämpfte gegen die Tränen. Sie hätte es wissen müssen.
Ich habe dir Antibiotika gegeben und Cortison.
Es war so selbstverständlich gewesen. Valerie hatte nicht darüber nachgedacht, dass es in dieser Region schwierig sein könnte, an solche Medikamente heranzukommen. Ebenso schwierig wie an ein Telefon. Sie wich zurück, als der Unbekannte auf sie zukam. Der Schweiß brach ihr aus. »Bitte«, flüsterte sie. »Bitte, tun Sie mir nichts.«
    Der Mann blieb stehen. »Ich werde meinem Goldvögelchen doch nichts tun«, sagte er einschmeichelnd, doch seine Augen betrogen den Ton seiner Stimme. »Noch nicht.«
    * * *
    Sie war hier. In diesem verfluchten kleinen Nest. Sie hielten sie in einem ihrer armseligen Häuser versteckt. Er konnte sie förmlich riechen, ihre Gegenwart spüren. Er blickte die trostlose Straße hinunter. Ein Schwarm Krähen zog über ihm in die hereinbrechende Dämmerung, und der Schneefall, der vor etwa einer Stunde eingesetzt hatte, wurde dichter. In einiger Entfernung sah er einen alten Mann und ein Kind aus einem Tor treten. Unter seiner Jacke spürte Burroughs die harten Umrisse seiner Waffe. Er hatte große Lust, sie zu erschießen. Ihnen zu sagen, dass er sie alle töten würde, einen nach dem anderen, wenn sie ihm Valerie Weymann nicht herausgaben.
    Er hatte Martinez’ Spuren akribisch verfolgt. Während alle gemeinsam am Weihnachtstag beim Truthahnessen gesessen hatten, hatte Martinez Valerie Weymann am helllichten Tag fortgebracht. Er war mit ihr an dem Posten vorbeigefahren, und niemand hatte ihn aufgehalten. Er hatte eine Weile gedauert, bis Burroughs das Dorf gefunden hatte, das Martinez ausgewählt hatte. Es gab zahlreiche dieser kleinen, nichtssagenden Flecken in der Region, wo die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stehen geblieben war. Viele Alte lebten hier, Relikte jener Zeit, ausgelaugt nach Jahrzehnten des Sozialismus. Sie hatten zu schweigen gelernt. Gelernt, sich anzupassen.
    Burroughs trat zur Seite, als er hinter sich das Geräusch eines herannahenden Fahrzeugs hörte. Es war ein großer teurer Geländewagen. Er hielt neben ihm, und ein Mann stieg aus, der Kragen seines Mantels pelzverbrämt. Die wenigen, die es aus der Armut geschafft hatten, zeigten es. Der Mann war Burroughs auf Anhieb unsympathisch. Er besaß etwas brutal Verschlagenes, einen Zug um den schmalen Mund und einen Blick in den Augen, der ihm nicht gefiel. Er würde ihm nicht einmal so weit trauen können, wie er ihn sah, und Burroughs fragte sich, womit dieser Mann sein Geld verdiente. Kinderhandel, Prostitution, Drogen? Die Verflechtungen der organisierten Kriminalität reichten in diesem Land bis in die Regierung. Selbst in den entlegensten Orten hatten sie ihre Ableger, und

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