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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Benden
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über die zerfurchte Landschaft zu ihren Klauen. Die Nachmittagssonne tauchte die kargen Täler und die schneebedeckten Hänge in gleißendes Licht.
    Sie mochte diesen Ort. In der Einsamkeit des Hochgebirges konnte sie besser nachdenken und die unwirtliche Szenerie half ihr, den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren. Beides fiel Lexia in der prunkvollen und gut belegten Zitadelle der Goldenen häufig schwer. Hier oben, an ihrem Lieblingsplatz, pfiff ohne Unterbrechung ein eisiger Wind, der bisher noch in jeder Situation dafür gesorgt hatte, dass sie wieder einen klaren Kopf bekam.
    Und einen klaren Kopf konnte sie im Moment wirklich gut gebrauchen. Vor ein paar Tagen hatte Jalina sie über den Wunsch der Gefährten informiert, sie zu ihrer Trauzeugin zu machen. Jalina hatte die Bitte geäußert, dass sie darauf eingehen möge, doch Lexia war klar, dass das ein Befehl war, der keinen Widerspruch duldete. Als sie einwilligte, hatte sie gar nicht gewusst, was mit dem Amt verbunden war. Die Königin der Goldenen war ihr wie immer mit Verachtung begegnet und hatte sich alle Mühe gegeben, diesen Auftrag als lästig und unwichtig darzustellen. Doch die Gerüchte, die durch die langen Gebirgstunnel der Zitadelle wisperten, deuteten darauf hin, dass die Königin Jaromirs Wunsch tatsächlich für einen echten Glücksfall hielt, da sie nun endlich aus erster Hand mehr über die Gefährten erfahren konnte. Offenbar bedauerte Jalina nur, dass Jaromir explizit Lexia angefordert hatte. Die Königin hätte viel lieber eine ihrer Vertrauten geschickt.
    Seit sie von ihrem Auftrag wusste, hatte Lexia ihre Bemühungen verdoppelt. Sie hatte recherchiert, was von einer Trauzeugin erwartet wurde. Dabei war sie auf eine Fülle von Informationen gestoßen, die zum Teil widersprüchlich waren und ihr kein eindeutiges Bild vermittelten. Sie hatte nicht Jalinas Möglichkeiten und konnte eben keine erfahrene Goldene mit der Informationsbeschaffung beauftragen. Sie hatte sich selbst um alles zu kümmern und nun musste sie das wohl oder übel auf sich zukommen lassen – eine Wahl hatte sie nicht. Aber dafür hatte sie die Statuten und Gesetze der Goldenen nochmals gründlich studiert und den Ehrenkodex verinnerlicht. Im Zweifelsfall würde sie sich daran halten. Doch je länger sie Adeptin war, desto öfter konnte sie sich des Eindrucks nicht verwehren, dass viele der hehren Leitsätze leer waren, nur eine ausgehöhlte Fassade, um den ehrenhaften Schein zu wahren.
    Lexia seufzte tief und reckte ihr Haupt anmutig dem eisigen Wind entgegen.
    Sie war lediglich eine Adeptin, ein ganz kleines Rädchen, das die Beweggründe des Großen Rates nicht kannte und vermutlich auch kaum verstehen würde. Und sie war jung, die jüngste Adeptin seit allen Zeiten überhaupt. Die Ereignisse ihrer Ernennung hatten sich so überstürzt, dass sie schon offizielle Aufgaben übernehmen musste, obwohl sie noch nicht einmal den formellen Aufnahmeritus durchlaufen hatte. Diese Initiation fand immer genau 86 Tage nach der Ernennung statt, also erst in fünf Wochen. Vielleicht sah sie danach ja klarer …
    Auf alle Fälle würde sie ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, denn sie war eine Goldene, eine Hüterin von Recht, Wissen und Weisheit.
    „Ich werde meinem Volk dienen und die Goldenen würdig vertreten. Und wie peinlich es für mich als «Trauzeugin» auch werden mag“ – Lexia dachte daran, was sie über die sogenannten Junggesellenabschiede in Erfahrung gebracht hatte – „ich stehe das durch. Ich werde alles an Wissen aufnehmen, was ich über die Gefährten bekommen kann. Wir WERDEN die Gefährten verstehen. Ich werde ihr Geheimnis lüften.“
    Lexia warf einen letzten Blick über die endlosen Bergkämme unter dem weiten, tiefblauen Himmel. Auf den Schattenseiten leuchtete der Schnee unwirklich blau und in der Sonne funkelte er wie Diamantensplitter.
    Sie würde den Frieden hier oben vermissen.
    Dann stieß sie sich entschlossen von der Kuppe ab, so dass der pulvrige Schnee unter ihren Klauen hoch aufstob und vom Wind fortgetragen wurde. Sie genoss diesen letzten kurzen Flug durch die klare Gebirgsluft.
    In wenigen Minuten würde sie die Zitadelle erreichen und sich offiziell bei ihrer Vorgesetzten abmelden. Dann musste sie durch die Nebel springen. „Wie ich das hasse! Immer wird mir schlecht davon. Und dann auch noch die Zeitverschiebung…“
    Und was dann kam… Nun ja, sie würde es in Kürze erfahren. Sie hatte noch nie

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