Machtlos
will der König der Roten bloß bei uns? Und dann auch noch unangemeldet. Ist das normal für einen Drachenkönig?“ , fragte sie Jaromir.
„Nein, das ist es nicht. Nicht mal für einen Roten. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was er von uns wollen könnte“ , gab ihr Gefährte misstrauisch zurück.
Grimmarr lächelte. Seine Menschengestalt war beeindruckend. Er war deutlich größer als Jaromir, überaus athletisch und wirkte geschmeidig wie eine Raubkatze. Er trug einen dunkelbraunen Nadelstreifenanzug und einen dazu passenden Hut, den er nun höflich abnahm. Darunter kamen blonde, militärisch kurz geschnittene Haare zum Vorschein. Verschiedene Narben zierten seine Haut und er hatte wache, durchdringende, graue Augen.
Höflich streckte Grimmarr Victoria seine Hand entgegen und sagte mit volltönender Stimme: „Es freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen, Victoria.“
Victoria machte lächelnd einen Schritt auf ihn zu, um sie zu schütteln.
Es traf sie fast der Schlag.
Sie keuchte.
Die furchterregende Aura Grimmarrs nahm ihr den Atem.
Wie bei anderen Drachen strahlte die Aura über seine menschliche Kontur hinaus. Allerdings deutlich weniger stark als bei den meisten. Aus der Entfernung erinnerte seine Aura fast etwas an die von Lenir – aber nur bis man ihm nahe kam. Es war, als wäre das Unheimliche in der kompakten Aura konzentriert worden. In drei Metern Abstand bemerkte man nichts Ungewöhnliches, doch wenn man auf einen Meter heran war, spürte man sein mächtiges Wesen geballt. Das erklärte auch Alberts große Frucht, als er den Gast ins Haus gebeten hatte. „Der Kerl ist echt gefährlich. Irgendwie hat der was von einem Mafiaboss.“
Victoria unterdrückte ihren Fluchtreflex und antwortete gepresst: „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“
Sobald es die Etikette erlaubte, ließ sie die Hand des Roten los und trat einen Schritt zurück. „Himmel! Sind alle Roten so? Das ist mir bei unserem ersten Gast vor ein paar Wochen gar nicht aufgefallen.“
„Nein, Kleines, das ist nicht typisch für die Roten. Deren Aura ist zwar generell furchterregender als die aller anderen Rassen. Aber so konzentriert – das ist wirklich ungewöhnlich.“ Nun war es an Jaromir, die Hand des Königs zu schütteln und Floskeln auszutauschen.
„Ihr kennt meine Menschengestalt nicht und doch habt ihr mich sofort erkannt. Die Auffassungsgabe der Gefährten ist tatsächlich so schnell, wie überall erzählt wird“, stellte Grimmarr anerkennend fest. „Ich hätte mich wohl besser abschirmen müssen“, fügte er mit einem unschuldigen Grinsen hinzu und schloss seine Gedankenvorhänge.
Jaromir nickte lächelnd. „Ja, Majestät, das hätte sicher geholfen.“
Victoria erkannte, dass der Rote ganz bewusst seine Gedanken gezeigt hatte, damit seine Gastgeber sicher sein konnten, dass er keinen Angriff plante.
Ein spöttischer Zug trat um den Mund des Königs, als er meinte: „Ich lege keinen Wert auf Förmlichkeiten, Jaromir. Wenn mir das zeremonielle Brimborium etwas geben würde, dann hätte ich offiziell um eine Audienz gebeten und wäre hier mit meiner Leibgarde aufgetaucht. Aber wie gesagt, daraus mache ich mir nichts. «Grimmarr» reicht.“
„Wie du wünscht, Grimmarr“, gab Jaromir höflich zurück. Dann deutete er auf Hoggi. „Und das ist der ehrenwerte Hoggi, Victorias Mentor.“
Der Weiße verbeugte sich ebenfalls und warf dem Gast neugierige Blicke zu.
Auch ihm streckte Grimmarr seine Hand entgegen.
Schließlich fragte Jaromir: „Kann ich dir etwas anbieten, Grimmarr?“
Victoria schluckte beklommen. Nachdem sie einmal in die Aura des Königs getaucht war, fühlte sie sich auch außerhalb dieser unwohl. Er machte ihr Angst, auch wenn er derzeit keine bedrohlichen Gedanken hatte. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Grimmarr nur gekommen war, um einen Tee mit ihnen zu trinken.
„Hast du starken Kaffee?“, fragte der Rote.
Jaromir lächelte. „Espresso?“
Grimmarr nickte.
Jaromir beauftragte Albert mit der Zubereitung und wies seinem Gast den Weg in den dunklen Speisesalon.
Als Grimmarr sich an den großen, dunklen Tisch setzte, fand Victoria, dass er perfekt in dieses düstere Zimmer mit der dramatischen Wandvertäfelung passte. Sie war froh, dass Jaromir nicht von ihrer Seite wich und nun auch neben ihr Platz nahm.
Albert brachte den Espresso und eine Schale mit Gebäck.
Victoria befürchtete, der Rote würde die winzige Tasse mit seinen großen
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