Machtlos
er nur so unsensibel sein können?!
Jaromir hätte seine Gedanken am liebsten zurückgenommen. Aber so sehr er das auch wünschte – es ging nicht. Seine Gedanken verselbständigten sich und irrationale Angst schnürte seine Kehle zu. „Und wenn Victoria mich nun nicht mehr will…“ Er bekam kaum noch Luft.
Victoria lächelte und berührte seine Wange. Dann sagte sie leise: „Ich bin mir sicher, dass Jalina genau das hier bezwecken wollte. Sie will uns das Leben schwer machen und uns auseinander bringen…“
Sie schloss bei diesen Worten ihre Augen und lehnte ihre Stirn gegen seine. „Aber sie scheint nicht zu kapieren, dass keine Macht der Welt das schaffen kann. Wir gehören zusammen. Wir sind verschieden und das muss so sein, denn du bist ein Drache und ich bin ein Mensch. Und doch sind wir eins. Wir sind Gefährten.“
Und dann dachte sie nicht mehr bewusst, sondern fühlte nur noch.
In diesem Moment veränderte sich der Fluss der Zeit. Die Möwen hingen bewegungslos in der Luft und die Wellen erstarrten wie Eis. Ein ganzes Universum passte in diesen Augenblick.
Er spürte, dass sie ihm verzieh und von ganzem Herzen akzeptierte, dass er anders war. Sie wollte ihn so, wie er war und er sie auch.
Überwältigt atmete er auf und drückte sie fest an sich.
Eine Unendlichkeit später floss die Zeit wieder normal. Die Möwen kreischten und die Wellen rollten rauschend an den Strand. Jaromir und Victoria lächelten einander innig an.
Dann sagte Victoria: „Ich brauche wohl noch Zeit, um mich daran zu gewöhnen, dass mein Leben anders verlaufen wird, als ich die letzten 21 Jahre dachte.“
Jaromir blickte sie entschlossen an. „Und diese Zeit wirst du auch bekommen. Wir suchen uns einen Rückzugsort, an dem wir wirklich ungestört sind – fernab von Unterricht, neugierigen Drachen oder Intrigen. Nur wir zwei.“
Er stand auf, zog sie auf die Beine und fügte hinzu: „Und jetzt finden wir eine Lösung dafür, wie wir unseren Menschenfreunden unsere Hochzeitspläne verkaufen können.“
Victoria lachte, als sie sah, dass er sie nun zu J bringen wollte, ihrem Mitbewohner und besten Freund. „Ja! J ist genau der Richtige dafür.“
Ihr Herz war schon viel leichter.
Sie ließ den Blick über die kabbelige See schweifen, atmete den Duft von Seetang und Salzwasser ein und spürte die Sonne auf der Haut.
9. Die Offenbarung
Als Victoria ihren Schlüssel in die Tür zu ihrer Studentenbude steckte, war sie aufgeregt. Es war fast zwanzig Uhr. Sie wusste, dass J da war; das hatte sie schon von der Straße aus spüren können. Aber was würde er zu den Hochzeitsplänen sagen? „Naja, ich werde es gleich wissen“ , dachte sie und öffnete beklommen die Tür.
J saß in der Küche und las Zeitung.
Sie grinste. „Na, alter Mann, was gibt’s Neues in der Welt?“
Ihr Mitbewohner grinste zurück. „Hallo Prinzessin! Sieht man dich auch mal wieder…“ Dann blickte er noch einmal auf die Kieler Nachrichten und kratzte sich murmelnd am Kopf: „Kindergarten …“
„Was?“, fragte Victoria verwirrt.
J grinste nun von einem Ohr zum anderen. „Du wolltest wissen, was es Neues gibt: Zwei Rockerbanden machen hier in Kiel Alarm. Die gönnen sich nicht das Schwarze unter den Fingernägeln und bekriegen sich wegen irgendwelchem Schwachsinn – also Kindergarten. Die schweren Jungs sollten sich lieber mal wie Erwachsene benehmen.“
Dann seufzte er theatralisch, faltete die Zeitung zusammen und stand auf. „Auch einen Tee, Vici? Dann kannst du mir auch gleich erzählen, was dich bedrückt.“
Victoria legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. „Wieso sollte mich was bedrücken? Wie kann es sein, dass er mich auf den ersten Blick durchschaut? ER kann doch nicht Gedankenlesen… unfassbar.“
J lächelte sie freundlich an und zählte dann an seinen Fingern ab: „Also, erstens tauchst du hier ganz unverhofft am Abend auf – du wohnst hier zwar, aber das zählt zur Zeit ja nicht. Zweitens habe ich dich in den letzten zwei Wochen nur ein einziges Mal gesehen. Da hast du mir erzählt, dass die Sache mit Jaromir und dir jetzt offiziell ist, worüber du nicht gerade glücklich zu sein schienst. Davor warst du eine Woche komplett abgetaucht und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich dir deinen überstürzten Aufbruch zu einem Schachseminar abkaufen soll… wohl eher nicht, aber gut. Drittens scheinst du in den letzten Tagen trotz Semesterferien zu viel am Schreibtisch gearbeitet zu haben, denn
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