Machtrausch
eigenen Leute entlassen müssen. Immer schneller dreht sich euer menschenfeindliches Karussell! Ihr – denn dich zähle ich leider dazu! – seid so derartig gefangen in eurer geschlossenen und verbohrten Gedankenwelt, eure Gehirnwäsche war so dermaßen erfolgreich, dass ihr euch gar nicht mehr vorstellen könnt, dass Unternehmen vielleicht auch andere Zwecke als nur jährliche Gewinnsteigerungen haben könnten. Gesellschaftliche Verpflichtungen oder Verpflichtungen den Mitarbeitern gegenüber! Ihr seid so festgefahren in dem Gedanken eurer heiligen Kuh einer globalisierten, freien Marktwirtschaft, in der jeder immer noch besser, schneller, billiger sein muss als jeder andere, dass ihr schon den puren Gedanken absurd findet, es könnte vielleicht irgendeine Alternative zu diesem Wahnsinn geben. Die wehrlosen Opfer dieses Krieges sind die vielen Millionen vernichteter Existenzen in Deutschland, die ausgebeuteten Kinderarbeiter in Drittweltländern und die zerstörte Natur überall auf der Welt … Für die Leute, die das tagtäglich vor sich selbst rechtfertigen können, ist es wohl nur noch ein recht kleiner Schritt zur konkreten Gewalt eines vorsätzlichen Mordes! Deine Bedrohung und Röckls Genickbruch sind nur die Spitze des Eisbergs .« Sie funkelte Glock wütend an und wartete auf eine gute Antwort. Doch er hatte keine. Ihre Verurteilung des heute in der Welt vorherrschenden, kapitalistischen Systems kannte er bereits aus zahlreichen heftigen Diskussionen mit seiner Frau. Er hatte stets eine Lanze für die nicht perfekte, aber aus seiner Sicht bestmögliche Welt gebrochen, in der er eben nun mal zu Hause war. Doch heute ließ er das erste Mal den Gedanken zu, sie könnte vielleicht irgendwie Recht haben. Ein wenig zumindest.
Irgendwann ging Barbara die Energie aus, und ihr Gespräch war danach in ruhigere Bahnen zurückgekehrt. Nach der zweiten Flasche Rheinriesling waren sie zu folgendem Ergebnis gekommen: Glock würde morgen ganz normal in die Firma gehen, die Leitung der Abteilung wie gewünscht übernehmen und sehr, sehr vorsichtig die weiteren Vorkommnisse beobachten. Parallel würde er in Röckls Bürounterlagen nach möglichen Gründen für den Tod suchen und Nagelschneider drängen, ihn schnell und umfänglich in die verdeckten Aktivitäten der Abteilung einzuweihen. Zwar hatten Barbara und Anton Glock keine wirkliche Idee, was der Grund für den Mord und Babettes Verstümmelung gewesen sein mochte, sie waren sich jedoch sicher, dass es einen Zusammenhang mit den inoffiziellen Aufgabengebieten seiner neuen Abteilung geben musste. Und noch etwas musste Glock seiner Frau versprechen: Insgeheim sollte er sich schleunigst nach einem neuen Job bei einer anderen Firma umsehen.
»Geh doch zu Siemens !« , schlug sie vor. »Mittlerweile haben die mit Kernkraft und Rüstung fast nichts mehr zu tun. Machen jetzt sogar viel mit Windenergie, habe ich gelesen .« Anton hatte zwar geringfügig andere Entscheidungskriterien, würde sich die Sache aber durch den Kopf gehen lassen. Viele ihrer Bekannten arbeiteten bei Siemens, das, wie Schuegraf, seine Firmenzentrale in München hatte. Die meisten der ihnen bekannten Siemensianer waren sehr stolz darauf, für das Traditionsunternehmen zu arbeiten. Und zumindest jene, die in den zahlreichen Stabsabteilungen tätig waren, schienen sich nicht zu überarbeiten. Anton hatte nicht vor, Barbara ihre Illusion zu nehmen, es gäbe vielleicht doch irgendeine Firma, in der ausschließlich Heilige die Chef-etage bevölkerten. Heilige blieben auf der Strecke oder kamen gar nicht erst auf das Firmengelände.
Dann gingen beide ins Bett und Glock war erleichtert, seine Frau eingeweiht zu haben. Barbara, die stets über einen sehr gesunden Schlaf verfügte, schlummerte sofort ein. Sie rollte sich immer ein wie eine Katze in ihrem Körbchen und schlief in der Regel durch bis zum nächsten Morgen. Anton hingegen schlief meistens sehr schlecht, was sich in den letzten Jahren sogar noch verstärkt hatte. Auch jetzt lag er noch lange wach auf dem Rücken und dachte nach. Von den aktuellen Ereignissen in der Firma schweiften seine Gedanken langsam ab in Richtung eher privater Dinge. Seine Ehe mit Barbara machte ihm Sorgen. Sie waren gute Freunde geworden, die, so wie auch heute, volles Vertrauen zueinander hatten und alle Sorgen miteinander teilten. Aber die Ehe kam ihm mittlerweile vor wie ein deftiger Eintopf, den man durchaus zu schätzen wusste, dem aber die feurige Würze
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