Machtrausch
fehlte. Alltagskost. Langweilig. Nein, sie hatten immer wieder spannende Diskussionen und verbrachten ihre spärliche Freizeit durchaus abwechslungsreich. Aber der sexuelle Pep fehlte völlig. Sie wünschte sich unbedingt Kinder. Anton fragte sich manchmal, ob seiner Frau bewusst war, dass man dazu Geschlechtsverkehr haben musste. Auch wenn es biblische Ausnahmen gegeben haben sollte. Er hatte vor etwa drei Wochen das letzte Mal mit seiner Frau geschlafen. Und wenn er nicht schon beinahe darauf bestanden hätte, wäre auch dies nicht geschehen. Das Traurigste jedoch war: Er hatte eher aus Pflichtbewusstsein heraus darauf bestanden, Lust hatte er selbst keine gehabt. Sie kannten sich seit acht Jahren und schon zum Zeitpunkt ihrer Heirat vor etwas über vier Jahren hatte Sex keine allzu große Rolle mehr gespielt. Er jedenfalls hatte noch sexuel-
le Lustgefühle, nur spielten sich die im Kopf und unter der Dusche ab. Seine sexuellen Phantasien drehten sich schon lange nicht mehr um Barbara, obwohl sie am Anfang ihrer Beziehung gar nicht aus der Horizontalen herausgekommen waren. Irgendwie nahm er an, bei Barbara sei die Lust ganz verschwunden. Jetzt wurde ihm bewusst, dass das ein fataler Trugschluss sein könnte. Vielleicht ging es ihr wie ihm und lediglich die Lust auf den Ehepartner war verschwunden? Er hätte diese Fragen Barbara gerne gestellt, nur wusste er nicht, wie. Sie tat bisher einfach so, als ob sie den Verlust ihres gemeinsamen Sexuallebens gar nicht bemerkt hatte. Oder, als ob sie dies als ganz natürlich ansah. Sie hatten viele Bekannte, die ebenfalls in ihrem Alter waren und die bereits ein paar Jahre verheiratet waren. Er nahm an, jenen erginge es ähnlich, aber er wusste es natürlich nicht genau, da dies kein geeignetes Thema auf den abendlichen Dinnerparties war. Viele dieser Paare hätten jedoch vergleichsweise bessere Ausreden für ihr eingeschlafenes Sexualleben. Begründungen, hinter denen man die Misere verstecken konnte: Kleine Kinder, anstrengende Wochenendehen usw. Auf solche Ausflüchte konnten er und Barbara nicht zurückgreifen. Als Tatbestand blieb übrig: Seine Frau und er liebten sich, aber Sex hatten sie keinen, wobei Anton nicht dauerhaft ohne selbigen auszukommen gedachte. Glock war mit neunzehn einmal in einem Bordell gewesen, hatte die Sache vor lauter Aufregung und Versagensangst (dabei war er zahlender Kunde gewesen!) aber nicht richtig genießen können. Ob er einen solchen Besuch einmal wieder wagen sollte? Barbara würde er damit nichts wegnehmen, da keine Liebe im Spiel sein würde und ihr der Sex mit ihm ohnehin nicht mehr wichtig zu sein schien. Mit diesem Gedanken und einer zaghaften Erektion schlief er schließlich ein.
9
Am nächsten Morgen stand Glock auf und er wusste, es war ein Fehler. Aber Glock, der einen depressiven Onkel hatte, kannte das gnadenlose Gesetz: Wer morgens erst gar nicht aufsteht, wird vom handelnden Subjekt zum fremdbestimmten Objekt. Das konnte er sich im Moment jedoch nicht leisten, denn er musste ab jetzt den Takt schlagen. Glock fühlte sich verzagt. Er war kein überragender Schauspieler und rechnete damit, von Nagelschneider und allen anderen schnell durchschaut zu werden. Man würde ihm sein taktisches Spiel anmerken. Man würde spüren, dass er dem Konzern und seinen Protagonisten plötzlich misstraute und die Leitung der Abteilung nur antrat, weil ihm nichts Besseres einfiel. Doch er irrte sich.
Unangenehmes drohte eher von anderer Seite. Kaum war er in seinem alten Büro angekommen und wollte sich aus alter Gewohnheit samt Tasse in die Kaffeeküche begeben, da begegnete ihm eine sonst sehr flirtive Mitarbeiterin der Abteilung für interne Kommunikation und erwiderte sein »Guten Morgen, Frau Kaltfeuer« mit einem verachtungsvollen Blick, der ihr Wissen darum andeuten sollte, wie Glock durch seinen übergroßen Ehrgeiz dazu beigetragen hatte, den harmlosen, alten Röckl kurz vor der Pensionierung in den Tod zu treiben. So schien man hier die Sache also zu sehen! Die telefonische Bemerkung von Rauch gestern hatte in dieselbe Richtung gezielt. Die durch Kaffeeküchenparolen beeinflussten Mitarbeiter in der Zentrale hatten sich ihre Meinung gebildet. Er stellte fest, dass ihm diese Verachtung (wenngleich nicht ganz unberechtigt?) durchaus zu schaffen machte.
Mit dem Kaffee in der Hand – groß, weiß, kein Zucker – kehrte er in sein Zimmer zurück. Der Stuhl von Rauch war noch leer. Das Telefon klingelte und er nahm ab. Das
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