Machtrausch
jüngst erkalteten Verbindungsoffizierin beschäftigte. Und, dies fiel ihm kurz vor dem Auflegen ein:
»Ach ja, rufen Sie bitte Kroupa in Wien an und sagen Sie ihm, dass ich nächste Woche vorbeikommen werde, um mit ihm persönlich über das Vertriebseffizienzprogramm zu sprechen. Buchen Sie mir bitte auch gleich einen Flug. Danke – und auf gute Zusammenarbeit, Frau Nockele!« Er seufzte und legte den Hörer auf. Von Rauchs Schreibtischseite hörte er einen halb höhnischen und halb bewundernden Pfiff:
»Donnerwetter, du legst dich ja ganz schön ins Zeug! Die ganze Management-Literatur scheint ja doch zu helfen …« Er wich gekonnt dem Radiergummi aus, der seinen Kopf knapp verfehlte und sah Glock grinsend zu, wie dieser hektisch und mit wehender Krawatte aus dem Raum stürmte, um den Termin mit dem Leiter der Abteilung AE, Schachter-Radig, um elf in seinem neuen Büro einhalten zu können. Wenn Alois Rauch allabendlich am Küchentisch seiner Wohngemeinschaft, die schon seit Studentenzeiten bestand, Geschichten über die absonderlichen Verhaltensweisen von Konzernmanagern zum Besten gab, lagen seine Mitbewohner regelmäßig vor Lachen unter dem Tisch. Er fühlte sich wohl in seiner Rolle als Beobachter und wusste nicht, wie bald sich das ändern sollte.
Die biedere Büroeinrichtung würde er austauschen müssen, so viel war klar. Punkt elf brachte Frau Nockele – er kannte nicht einmal ihren Vornamen und Röckl hatte sie nach zwanzig Jahren der engen Zusammenarbeit immer noch nicht geduzt – Frankenstein persönlich in den Raum: Vor seinem Schreibtisch baute sich ein knapp zwei Meter großer Mann auf. Breite Schultern, kantiger Schädel, kurzes Blondhaar, Narbe am Kinn und ein schwarzer Anzug à la Blues Brothers mit weißem Hemd und einer dünnen Krawatte in fröhlichem Mausgrau. Der düstere Eindruck wurde jedoch wieder aufgehoben von dem fast jungenhaft freundlichen Lächeln, mit dem das Monster seine weißen Zähne zeigte und mit dem er seine eheberingte, rechte Hand höflich zur Begrüßung ausfuhr, um sich etwas steif vorzustellen.
»Ich darf mich Ihnen vorstellen: Minor Schachter-Radig mein Name. Geborener Schachter, der Name Radig kommt von meiner Frau .« Glock ergriff die angebotene Hand und freute sich über einen festen, aber nicht zerstörerischen Händedruck. Noch während sie sich in die beigen Sessel der Besprechungsecke setzten, wusste Glock aus unerfindlichem Grunde, dass er gerade einen Mann kennen lernte, dem er vertrauen konnte.
»Herr Schachter-Radig. Sie sind der erste Mitarbeiter der AfU, den ich kennen lernen darf, seit ich heute Morgen mit der Wahrnehmung der Abteilungsleitung betraut worden bin. Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mir ein wenig über sich selbst und Ihre Abteilung AE, die Aktive Eingreiftruppe, erzählen würden .« Er lächelte sein Gegenüber ermutigend an.
»Nun …«, Schachter-Radig rieb sich die gut gepflegten Pranken und begann etwas gelöster, »… ich selbst habe bereits zwei ganz unterschiedliche Karrieren hinter mir. In meiner Jugend zog es mich zum Dienst an der Waffe, wo ich in der deutschen Eliteeinheit GSG 9 schließlich sogar Offizier, Oberleutnant genau gesagt, geworden bin. Dann wurde mir die Sache zu einseitig, die geistige Dimension fehlte, falls Sie verstehen, was ich meine .« Sein neuer Chef nickte bestätigend. Glock hatte seine eigene Bundeswehrzeit als ziemlich männerbündlerisch und dumpf in Erinnerung behalten.
»Danach studierte ich Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik. Ich promovierte über die Kooperationsmechanismen zwischen Mafia einerseits und renommierten italienischen Unternehmen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts .« Also sogar ›Dr. Frankenstein‹, dachte Glock keineswegs unfreundlich. Die ruhige Art der Erzählung nahm ihn weiter für Schachter-Radig ein.
»Wenn es Sie interessiert: Ich habe damals ein dünnes Bändchen zu meinen grundlegenden Gedanken zur Wirtschaftsethik verfasst …« Glock nickte ihm erneut aufmunternd zu.
»Es heißt ›Die Verbiegung‹ und handelt kurz gesagt davon, dass jeder Mensch als Egoist und soziales Wesen gleichermaßen auf die Welt kommt. Wobei die uneigennützige Ader klar überwiegt und in der Menschheitsgeschichte letztlich dazu geführt hat, dass wir uns immer weiter entwickelt und ausgebreitet haben. Nur so konnten Familien, Dörfer, Stämme und Völker entstehen, ohne sofort wieder auseinander zu brechen. Gesellschaften, die ihre
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