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Machtrausch

Machtrausch

Titel: Machtrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer C. Koppitz
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Gesichtsausdruck an und schwieg eine Weile.
    »Also gut, Anton«, sagte sie dann und steckte sich eine Zigarette an, die sie aus der Packung auf dem Nachttischchen fingerte, »du lässt ja sowieso nicht locker. Dann lehn dich mal entspannt zurück, schließ die Augen und stell dir folgende Szene vor:

     
    Drei Männer und drei Frauen sitzen in einem abgeteilten Raum des Restaurants in Herrmanns Posthotel in Bayreuth an einem ovalen Tisch, den man in der fränkischen Provinz für festlich gedeckt hält. Wir sind im Jahr 1982 …«
    »Mai 1982 ?« , konnte sich Anton nicht zurückhalten. Auf der Rückseite des alten Fotos war exakt dieser Monat aufgedruckt und er war unglaublich gespannt, die Geschichte dieses Fotos zu hören.
    »Ja, die kleine Szene spielt im Wonnemonat Mai. Schließ deine Augen wieder und heb dir deine Kommentare bitte für nachher auf, okay?! … Die sechs Gäste sind noch jung, der Älteste höchstens Anfang dreißig, und es wird viel gelacht. Ein erleichtertes, befreites Lachen. Der durchgehend dunklen Kleidung nach könnte es eine Beerdigungsfeier sein. Ein hoch gewachsener Blonder im schwarzen Dreiteiler zieht sein Sakko aus, zupft seine korrekt geknöpfte Weste zurecht und steht mit feierlicher Miene auf. Nach mehrmaligem Schlagen der Dessertgabel an das halbleere Champagnerglas wird es totenstill im Raum. Der Mann sieht in die gespannten Gesichter der Runde am ovalen Tisch.
    ›Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter‹, hebt er in charmantem Dialekt an, ›ich habe euch heute mehrere wichtige Dinge mitzuteilen.‹
    Kurze, gekonnte Pause, um die Dramatik zu steigern, gelernt im Rhetorikkurs, Teil 2, und seitdem routiniert eingesetzt und weiter verfeinert.
    ›Erstens: Heute Nachmittag hatte ich ein zweistündiges Gespräch mit unserem hochgeschätzten Dr. Scheu.‹ Gespanntes Schweigen. Dr. Scheu ist der Auftraggeber ihres gerade auslaufenden Beratungsprojektes und damit für sie monatelang die wichtigste Bezugsperson gewesen.
    ›Das Projekt ist abgeschlossen – und zwar erfolgreich abgeschlossen! Dr. Scheu ist hochzufrieden. Ein Sieg auf ganzer Linie!‹ Seufzer der Erleichterung, verhaltener Jubel, Pochen auf den Tisch.
    ›Zweitens: Unser aller Chef, Dieter, ist zu dieser Stunde in Düsseldorf bei einem Kundenessen und dadurch, leider, heute Abend verhindert.‹ Keiner in der Runde sieht enttäuscht aus, zwei der Frauen tuscheln miteinander und kichern leise.
    ›Ich habe jedoch vom Zimmer aus gerade noch mit ihm telefonieren können: Er gratuliert uns zu dem überraschend überzeugenden Projektabschluss, wie er es formuliert hat. Eure Urlaube sind – so weit ihr nicht schon wieder auf das nächste Projekt eingeteilt seid – allesamt genehmigt! Ihr könnt ab Montag in die Karibik fliegen, oder wohin es euch auch immer ziehen mag.‹
    Alle verspüren das Bedürfnis, diese Nachricht mit einem Schluck Champagner zu begießen, und so wird erst einmal unter Klirren und Lachen angestoßen.
    ›Drittens: Dieter hat mir hoch und heilig versprochen, sich für einen ordentlichen Sonderbonus in, ich zitiere, deutlich fünfstelliger Höhe für jeden von uns auszusprechen. Dieses Projekt wird – da könnt ihr sicher sein! – der Karriere jedes Einzelnen an diesem Tisch einen ordentlichen Schub geben! Dieter will für uns und das erfolgreiche Projekt in unserer gesamten Firma die Werbetrommel schlagen.‹ Bei der Firma handelt es sich um die deutsche Filiale von St. Servatius, der zweitgrößten Top-Management-Beratung der Welt. Dieser Firma haben alle am Tisch ihr Gehirn und vor allem ihre Zeit gegen viel Geld verkauft. Jeder von ihnen hat direkt nach dem Studium schon im ersten Berufsjahr mehr verdient als ein Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium nach zwanzigjähriger Dienstzeit. Das Wort Privatleben kennen sie allerdings seit dem Einstieg bei St. Servatius nur noch vom Hörensagen. Dennoch sind, bis auf eine der Frauen, alle verheiratet und die meisten haben bereits kleine Kinder, die mit viel Geld und Aufwand aus dem Leben wegorganisiert worden sind – und darum der weiteren Karriere nicht im Wege stehen.
    ›Und viertens ein Lob an euch: Als Projektleiter habe ich noch nie zuvor mit und in einem solch schlagkräftigen Team gearbeitet. In den vergangenen neun Monaten haben wir gemeinsam prekärste Situationen gemeistert, herausragende Ergebnisse erzielt und einem Druck widerstanden, bei dem die meisten anderen Teams auseinander gebrochen und gescheitert wären. Nicht jedoch

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