Machtrausch
mit halbem Ohr zu, denn während Glocks Erklärung nahm er ein Atemgerät fachkundig auseinander und reinigte es.
»Was haben wir damit zu tun? Der Unfall von Beckendorf ist eine ganze Weile her und uns ist sehr daran gelegen, das Unglück nicht mit unserer Basis in Verbindung zu bringen. Niemand hier wird Sie dorthin bringen und Ihnen etwas darüber erzählen .« Im Hintergrund hörte Ute aufmerksam zu. Der Unfall schien hier ein gut gehütetes Geheimnis zu sein. Es war immer dasselbe, man bat höflich um etwas und es wurde glattweg verweigert. Also holte man, notgedrungen, die Keule aus dem Sack und plötzlich wurden alle ganz hilfsbereit. Zu gerne vermied er solche Situationen, aber er konnte hier nicht wochenlang seine Zeit vertrödeln. Er holte widerstrebend die Keule heraus:
»Gut, sprechen wir also Klartext: Dieses Buch wird in jedem Fall geschrieben und veröffentlicht werden. Es wird in Europa auf große Resonanz stoßen. Nicht Beckendorfs Tod steht im Vordergrund des Werkes, aber die Leser haben ein Recht darauf, in der Biographie auch etwas über die letzten Tage und Stunden dieses bedeutenden Mannes zu erfahren. Wenn Sie mit mir kooperieren, werde ich den Namen der Tauchbasis und der Insel so weit wie nur irgend möglich heraushalten. Wenn nicht, verstärken Sie nur den Verdacht, dass hier geschlampt wurde und auf Grund von Regelübertretungen und Leichtsinn Ihrer Leute ein beliebter Unternehmensführer ums Leben gekommen ist. Es hängt also ganz von Ihnen ab, welche Richtung das letzte Kapitel des Buches erhalten wird. Verstehen wir uns ?« Urs hatte den Schraubenzieher beiseite gelegt und sah den vermeintlichen Journalisten scharf an.
»Ist das eine Drohung ?«
»Nein, keineswegs. Ich erläutere Ihnen nur Ihre Handlungsoptionen, okay? !«
»Was genau wollen Sie ?« Anton Glock erklärte es ihm in aller Ausführlichkeit. Mit starkem Widerwillen antwortete der Leiter der Tauchbasis schließlich:
»Wir treffen uns heute nach dem Abendessen an der Bar. Ich muss Ihren Vorschlag vorher mit dem General- Manager des Hotels besprechen .«
»Fein. Wir sehen uns .« Anton winkte zum Abschied fröhlich mit seinem bunten Strandhandtuch. Die neugierige Ute, die aus dem Hintergrund heraus zugehört hatte, würde ihren Chef jetzt sicher ebenfalls mit Fragen nerven. Halb zufrieden wanderte er zurück zu seinem Bungalow und setzte sich mit seiner Reiselektüre, einem stupiden amerikanischen Börsenthriller, in den Liegestuhl auf seiner Terrasse. Der Held kam einer gigantischen Verschwörung auf die Spur, in die auch das Weiße Haus verstrickt war. Natürlich. Bei der gegenwärtigen amerikanischen Regierung nicht allzu schwer vorstellbar. Alles in dem Plot drehte sich darum, dass durch politische Entscheidungen die Kurse gewisser Aktien nach oben manipuliert wurden und ein gewisser Teil des Geldes zurück an die politischen Parteien floss. Selbst der durchschnittliche amerikanische Leser musste spätestens auf Seite fünf auf diese Lösung kommen. Kein Wunder, dass die amerikanischen Filme so seicht waren: Es fehlten ihnen die passenden Romanvorlagen. Er legte das Buch gelangweilt beiseite und nahm sein zweites Reisebuch zur Hand: » The third policeman« von Flann O’Brien in der knorrigen Übersetzung von Harry Rowohlt. Dieses wirre Buch las er nun zum dritten Mal mit großem Vergnügen, ohne bisher dahinter gekommen zu sein, worauf der Autor wirklich hinauswollte. Das war Literatur. Lems » Memoiren, gefunden in der Badewanne«, so spann Anton den Gedanken fort, fielen ebenfalls in diese Kategorie der wohltuend motivationslosen Meisterwerke. Es gab zwar viele Interpretationen aus berufenen Federn, von denen jedoch keine in gleichem Maße befriedigte, wie wenn man die Geschichte einfach so für sich stehen und wirken ließ.
Zwei Tage später verließ er Furanafushi Island wieder und fuhr mit dem Boot in Richtung des Airports von Male. Dort bestieg er bereits ein paar Stunden später eines der knallroten Wasserflugzeuge. Glock flog in ein weit entferntes Atoll des kleinen Inselreiches, wo er weitere drei Tage bleiben wollte. Höchstens. Mit seiner Reise nach Furanafushi Island hatte er drei Ziele verfolgt und sie alle erreicht: Erstens, den Unfallort Beckendorfs persönlich unter Wasser in Augenschein zu nehmen. Die Höhle hatte ihm nur das bestätigt, was er ohnehin geahnt hatte: Kein besonnener Mann und erfahrener Taucher (und als solcher wurde Kurt Beckendorf übereinstimmend beschrieben) würde ernsthaft
Weitere Kostenlose Bücher