Machtrausch
um sie auf eine eventuelle Verwendung als Touristen-Ressort zu prüfen. Dieses Atoll hier gehört zu den ärmsten der ganzen Republik, weil der Tourismus bislang noch nicht Fuß gefasst hat .«
»Also arbeiten Sie für das Tourismus-Ministerium ?« Der Malediver setzte sich eine völlig überdimensionierte Sonnenbrille auf und grinste.
»Nein, nein. Ich arbeite für International Enterprises, die größte Firma hier in der Republik! Unser Chef ist der Bruder des Präsidenten .« Damit war alles klar. Die Inseln gehörten alle dem Staat, und wenn International Enterprises ein bislang unbewohntes Eiland in ein gewinnbringendes Touristen-Ressort umwandeln wollte, so war die Genehmigung familienintern reine Formsache. Und alle verdienten gut. Warum auch nicht? Das Schnellboot pflügte mit Höchstgeschwindigkeit durch den Indischen Ozean und während der restlichen Fahrt saßen die zwei Passagiere mit ihren Sonnenbrillen und Aktenkoffern schweigsam nebeneinander. Nach etwa fünfundvierzig Minuten erreichten sie ein schmales, sehr langes und dicht bewachsenes Inselchen. »Noonufinolhu !« , sagte der Malediver und zeigte mit seinem wurstigen, braunen Zeigefinger in Richtung der Insel. Einige Minuten später stand Anton mit seinem Koffer auf einem schmalen Betonpier. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Er wusste nicht einmal, wo er hier übernachten konnte. Genau genommen dürfte er gar nicht hier sein, denn Ausländern war das Betreten der von Einheimischen bewohnten Inseln streng verboten, es sei denn, der Besuch fand im Rahmen einer geführten Besichtigung statt. Was nicht der Fall war. Dreistigkeit siegt und das war der Grund, warum er jetzt dennoch hier stand. Glock blickte sich um. Direkt an dem Pier, auf dem er stand, schaukelten einige hölzerne Fischer-Dhonis im Wasser. Schäbig, aber sichtlich noch in Gebrauch. Ein paar Schritte weiter standen unter drei alten Palmen ein paar gebrechlich aussehende Holzstühle, auf denen alte Männer im Schatten saßen. Sie sahen nicht einmal zu ihm herüber. Er sah, dass sie pausenlos etwas kauten und hin und wieder braunen Saft in den Sand spuckten. Rechterhand schien so etwas wie ein Dorf zu liegen. Niedrige, quadratische Häuschen, ein paar aus Holz, ein paar aus Beton und Korallengestein, alle nicht verputzt und nicht oder lange nicht gestrichen. Glock nahm Aktentasche und Koffer auf und ging in Richtung der Häuser. Es war Mittag, und der kleine, wenig attraktive Ort machte einen völlig toten Eindruck. Er hörte kein Kinderlachen. Von nahem war das Dorf größer, als er gedacht hatte. Die ungepflasterten Wege waren schnurgerade, alle paar Meter zweigten nach rechts und links rechtwinklige Gassen ab. Die Häuschen sahen alle nahezu gleich aus. Einfach, schlicht, lieblos, aber keineswegs elend. Vor jedem Haus befand sich eine Kreuzung aus Hängematte und Stuhl, aber in keinem dieser eigentümlichen Sitzmöbel saß jemand. Glock beschloss, nach den örtlichen Autoritäten zu suchen. Einen Imam, so etwas wie den Dorfpfarrer, musste es geben. Oder einen Bürgermeister. Er schritt weiter durch das sonnendösige Dorf, das ihn an die kleinen Westernstädtchen aus alten US-Filmen erinnerte, die leblos in der Mittagssonne rösteten. Plötzlich stand er an einer etwas größeren Kreuzung. Rechts und links zweigte eine Gasse ab, die ungefähr doppelt so breit und deren Boden ansatzweise betoniert war. Links sah er eine strahlend weiße Moschee, rechts etwas, das wie ein neueres Verwaltungsgebäude aussah. Als nicht gerade religiöser Mensch entschied er sich für den rechten Weg. Das Verwaltungsgebäude entpuppte sich rasch als Schule. In nach außen offenen Räumen saßen jeweils fünf bis zehn Kinder und wiederholten im Chor Sätze, die Lehrerinnen und Lehrer vorsprachen, während sie mit einem Zeigestock auf bunte Bildtafeln zeigten. Alles wirkte geordnet, sauber und adrett. Glock trat durch ein niedriges, weißes Tor und stand auf dem Schulhof. Sogleich eilte ein junger Mann mit Nickelbrille auf ihn zu und fragte in Englisch, ob er ihm helfen könne. Anton seufzte erleichtert auf. Diesen Mann würde er nicht mehr freigeben, bis er eine Unterkunft gefunden und den Aufenthaltsort von Ahmed ergründet haben würde.
Der junge Mann hieß Hassan und war der Leiter der örtlichen Schule. Er brachte Glock zu sich nach Hause, in eines der kleinen Häuser, keine hundert Meter entfernt. Die ganze Hütte bestand aus drei einfachen, aber sauberen
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