Machtrausch
daran denken, in diese enge Höhle hineinzutauchen, ohne dass draußen jemand wartete, der einem notfalls hätte beistehen können. Außerdem hatte er sich die Höhle genauer angesehen. Es gab kaum spitze Felsvorsprünge und ähnliches, an denen man sich hätte verhaken können. Die Höhlenwand war rau und über und über grünlich bewachsen. Anton hielt einen Unfall für theoretisch möglich, jedoch für ziemlich unwahrscheinlich. Sein Begleiter, der Tauchbasisleiter Urs, hatte ihm nicht ernsthaft widersprochen. Das zweite Ziel seines Besuchs auf Beckendorfs Ferieninsel war, den genauen Namen und den Aufenthaltsort von Ahmed, dem damaligen Tauchführer Beckendorfs, ausfindig zu machen. Der hatte sich nach der Entlassung in Richtung seines Heimatatolls aufgemacht, dem Noonu-Atoll im Norden der Malediven, wo er bei seiner Familie lebte. Ahmed hatte vorher acht Jahre auf Furanafushi Island gelebt, und so fand sich schließlich jemand, der noch immer gelegentlichen Telefonkontakt zu ihm hatte: Ein Rezeptionist des Inselhotels, der den genauen Aufenthaltsort Ahmeds preisgab, als Glock ihm mitteilte, er habe Geld für den ehemaligen Tauchguide. Viel Geld. Das war nicht gelogen. Nur verständlich, dass auch der Rezeptionist ein wenig an dem Reichtum aus Glocks Tasche teilhaben wollte. Gier funkelte in den Augen des Maledivers, als ihm der deutsche Besucher ein paar große Scheine hinblätterte. Die westlichen Moralvorstellungen waren längst im Paradies angekommen. Die dritte Information war die wichtigste: Anton hatte sich von eben jenem Rezeptionisten vertraulich die Gästelisten aus der Zeit unmittelbar vor Beckendorfs angeblichem Tauchunfall geben lassen und durchgesehen. Dabei war er auf einen interessanten Namen gestoßen. Gegen weiteres Bargeld hatte er eine Kopie der entsprechenden Seite des Gästebuches bekommen, in dem sogar die Reisepassnummer des Gastes notiert war. Volltreffer. Anton sah nachdenklich aus dem Fenster des kleinen Wasserflugzeugs auf dem Weg ins Noonu-Atoll. Jetzt kam der entscheidende Teil. Er hatte nun alles in der Hand, um den Sack zuzumachen. Durch die offene Tür der Pilotenkanzel der knallroten Maschine konnte er sehen, dass der europäische Pilot barfuß flog. Mit den blonden Bartstoppeln und der goldenen Taucheruhr einer der letzten Abenteurer dieser bürokratisierten Welt.
Das Flugzeug landete mit großem Getöse neben einer im Wasser verankerten Schwimmplattform mitten in der Insellagune. In Sichtweite sah Glock die Hauptinsel des Noonu-Atolls, auf der sich auch die Verwaltung der Inselgruppe befand. Jedes Atoll bildete auf den Malediven eine verwaltungstechnische Einheit, ähnlich den deutschen Bundesländern. Antons Ziel war jedoch nicht die Hauptinsel des Noonu-Atolls, sondern die etwa eine Bootsstunde entfernte Heimatinsel Ahmeds. Neben ihm stieg nur ein weiterer Passagier aus dem Flugzeug, ein korpulenter Einheimischer mit Aktentasche, der trotz der Hitze und Luftfeuchtigkeit eine korrekte, schwarze Baumwollhose und ein langärmeliges, weißes Hemd trug. Ein beiges Schnellboot näherte sich der Schwimmplattform, auf der Anton mit seinem Gepäck sowie der maledivische Geschäftsmann zurückgeblieben waren, nachdem das Flugzeug mit ohrenbetäubendem Lärm wieder abgehoben hatte. Der blonde Barfußpilot winkte ihnen freundlich aus dem offenen Fenster der kleinen Maschine ein Lebewohl zu. Mit tropisch langsamen Bewegungen brachte die Crew Antons Gepäck an Bord des kleinen Schiffes und erhielt von ihm ein kleines Trinkgeld in Dollar. Der Malediver setzte sich neben Glock auf die kunststoffgepolsterte Bank direkt vor den zwei starken Außenbordmotoren und fragte, noch während sie ablegten, in akzentfreiem Englisch:
»Was verschlägt Sie auf dieses Atoll, wenn ich fragen darf?! Hier gibt es keine einzige Touristeninsel …« Anton beschloss, die auf Furanafushi Island erprobte Story fortzuführen:
»Ich bin Journalist aus Deutschland und schreibe die Biographie eines Top-Managers, der auf den Malediven bei einem Tauchunfall gestorben ist. Mir fehlen noch ein paar Interviews mit den Menschen, zu denen er während seiner letzten Tage Kontakt hatte. Einer davon lebt auf Noonufinolhu .« Der Mann nickte ernst, aber freundlich.
»Und in welchen Geschäften sind Sie hier unterwegs? Im Noonu-Atoll gibt es schließlich nur Kokosnüsse und Fische …«, wollte Anton wissen.
»Genau das werden wir ändern, denn ich werde mir ein paar unbewohnte Inselchen in diesem Atoll näher ansehen,
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