Machtspiele: Die Kunst, sich durchzusetzen (Haufe Sachbuch Wirtschaft) (German Edition)
das nicht, sondern ahndet den Verstoß, mitunter sogar recht streng. Der Mitarbeiter fühlt sich ungerecht behandelt, weil sich in seiner Abteilung doch alle so verhalten und ungestraft davonkommen. Erfahrene Kollegen erklären ihm milde lächelnd: "Du darfst dich eben nicht erwischen lassen."
Unter Umständen führt der Vorgesetzte sogar Kontrollen durch, allerdings so, dass alle vorbereitet sind, mögliche Spuren verwischen können und sich nur der Dümmste erwischen lässt, um den es niemandem leidtut. Geht es um etwas schwerere Verstöße, kann er auch eine unabhängige Kontrollinstanz beauftragen, deren Aufgabe darin besteht, nichts Nennenswertes zu entdecken. Um die Kontrollinstanz bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstützen, sind alle betroffenen Mitarbeiter aufgerufen, sich vorzusehen und sich keinesfalls erwischen zu lassen. Damit jedoch unter diesen erschwerten Bedingungen Normverstöße noch weiter möglich sind, wird zeitnah ein Frühwarnsystem eingerichtet, das die Arbeit der Kontrollinstanz aufmerksam begleitet und in gewissem Sinne ja auch unterstützt. Denn wer der Kontrollinstanz jetzt noch ins Netz geht, ist entweder dumm, tollkühn oder fühlt sich unangreifbar – alles keine Eigenschaften, mit denen man sich für die Organisation empfiehlt.
Vergünstigungen entziehen
Dass dieses Spiel auch dazu dient, kriminelle Machenschaften zu decken, sollte Ihnen nicht den Blick dafür verstellen, dass es häufig um ganz harmlose Dinge geht, um simple Abweichungen vom vorgeschriebenen Weg, um Tricks, inoffizielle Arbeitserleichterungen, die auch der Mitarbeiter selbst ins Spiel bringt. So berichtete mir ein Angestellter, dass es ihm inoffiziell gestattet war, eine bestimme Software zu nutzen, weil er mit der Firmensoftware nicht zurechtkam. Jeder wusste davon, doch hätte er das nie offen aussprechen dürfen. Er musste den Schein wahren, und alle anderen auch.
Weil sie den Mitarbeitern zugute kommen, eignen sich diese inoffiziellen Vergünstigungen auch als Druckmittel. Wollen die Mitarbeiter nicht so, wie der Vorgesetzte will, kündigt er an: "Ich werde es nicht langer hinnehmen, dass sich hier keineran die Regeln hält. Jeder glaubt, er kann tun, was er will. So geht es nicht!" Er droht mit Sanktionen und macht zum Erstaunen seiner Mitarbeiter zeitweise sogar ernst damit, bis sich das Verhältnis wieder entspannt und alle wieder harmonisch zusammenarbeiten.
Den Vorgesetzten trifft keine Schuld
Der Hauptnutzen dieses Spiels besteht wieder einmal darin, Verantwortung loszuwerden. Natürlich gilt der Vorgesetzte als der Verantwortliche für alles, was in seiner Abteilung passiert. Aber was sich hinter seinem Rücken abspielt, dafür wird er nicht im Ernst zur Rechenschaft gezogen. Es sei denn, ihm wird im Zuge des "Schuldschiebens" (→ Seite 57) die Verantwortung aufgeladen. Ansonsten kann er sich immer darauf berufen, von allem nichts gewusst zu haben. Wenn das glaubhaft ist, geht es allenfalls um die Frage, ob er von den Vorfällen "hätte wissen müssen" – was schon sehr viel vager klingt und viel Spielraum lässt, den Vorgesetzten zu entlasten – wenn man will. Und meist will man. Denn für jede Organisation bedeutet es eine eklatante Schwächung, wenn sie ständig ihr Führungspersonal auswechseln muss. Abgesehen davon würden die Verantwortlichen nur noch extrem defensiv agieren, wenn sie wirklich für alles zur Verantwortung gezogen würden, was hinter ihrem Rücken passiert.
Nun muss es keineswegs so sein, dass in Wahrheit den Vorgesetzten die Schuld trifft, nicht nur, weil es oft die Mitarbeiter sind, die sich unter dem Zwang der Verhältnisse ihre Arbeit vereinfacht haben. Manche Abweichung vom offiziellen Weg hat sich im Laufe der Jahre eingeschliffen und bewährt. Der Vorgesetzte könnte den Kampf gegen diese Missstände aufnehmen, doch ist die Chance sehr hoch, dass er damit scheitert (→ In den Graben fahren, Seite 103). Daher ist es ein Gebot politischer Klugheit, bei den kleinen Abweichungen tatsächlich ein Auge zuzudrücken und das Spiel so zu spielen, wie ich es hier geschildert habe.
Der Vorgesetzte gerät jedoch schnell auf vermintes Gelände, wenn die Abweichungen nicht mehr so harmlos sind, wenn es sich um die bereits erwähnten krummen Dinger dreht. Man würde natürlich erwarten, dass ein halbwegs integerer Vorgesetzter da einschreitet, dass er aufräumt und gegebenenfalls den Sumpf trockenlegt. Doch das scheint sehr viel leichter gesagt als getan zu sein. Gehören
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