Machtspiele: Die Kunst, sich durchzusetzen (Haufe Sachbuch Wirtschaft) (German Edition)
nichts.
Als unbeteiligter Dritter haben Sie vermutlich weit bessere Chancen, das entwürdigende Spektakel zu beenden. Ich wurde selbst Zeuge eines solchen beherzten Eingreifens. Einer Mitarbeiterin war eine harmlose, aber etwas peinliche Panne unterlaufen. Der Boss nutzte die nächste Mitarbeiterbesprechung, um den Fall genüsslich auszubreiten. Keine Frage, die öffentliche Schlachtung hatte begonnen, da meldete sich ein Kollege zu Wort: "Wenn es da ein Problem gegeben hat, dann sollten Sie das mit der Kollegin ausmachen. Ich jedenfalls will mir diese Geschichte nicht anhören." Der Boss entgegnete, dass diese Geschichte alle Mitarbeiter anginge. Als er sie fortsetzen wollte, stand der Kollege auf und verließ den Raum – und alle außer dem Boss und der Kollegin folgten! Eine solche Aktion wird auch ein hartgesottener Boss so schnell nicht vergessen.
Das Flegelspiel
Ein weiterer Klassiker unter den Boss-Spielen ist das Flegelspiel. Es ist recht beliebt und international verbreitet, wie meine Gewährsleute versichern. Auch die psychologische Forschung ist auf das Flegelspiel aufmerksam geworden. So hat die bereits erwähnte Stanford-Professorin Deborah Gruenfeld die Frage untersucht. "Warum benehmen sich mächtige Geschäftsleute so schlecht?" Eine Antwort darauf liefert das Flegelspiel: Es verschafft Genuss, sich über geltende Regeln hinwegzusetzen. Und es gibt kaum ein zuverlässigeres Mittel, seine Macht über andere zu demonstrieren, als ungestraft die allgemein üblichen Umgangsformen zu ignorieren.
Schlechte Manieren als Statussymbol
Sie betreten das Büro Ihres Vorgesetzten. Er hat die Füße, die in handgenähten Boxcalf-Schuhen stecken, auf seinen Schreibtisch gelegt und telefoniert. Er nimmt Sie nicht einmal wahr, dabei hatte er Sie doch gerade zu sich bestellt. Er macht keine Anstalten, das Gespräch zu beenden, sondern plaudert munter weiter über völlig belanglose Dinge. Sie bleiben in sicherer Entfernung vom Schreibtisch stehen und warten. Es ist völlig undenkbar, dass Sie sich bereits hinsetzen. Ebenso ist es undenkbar, dass Sie sich wieder entfernen. Sie müssen einfach abwarten, bis Ihr Boss das Telefonat beendet hat und geruht, seine Aufmerksamkeit Ihnen zuzuwenden. Und wenn er sagt: "Frau Goldbach, für Sie habe ich jetzt absolut keine Zeit", dann müssen Sie wieder gehen.
Jeder andere bekäme Ärger, würde er sich so verhalten – Ihr Boss nicht. Weil er eben die Macht hat zu tun, was er will, und alle anderen ihn immer noch mit Respekt oder sogar Unterwürfigkeit behandeln. Man kann es kaum sinnfälliger ausdrücken, wer hier das Sagen hat und buchstäblich unangreifbar ist. Für den Boss ist es daher auch eine Form der Selbstbestätigung, wenn er sich immer mal wieder schlecht benimmt und alle das hinnehmen. Wer das Flegelspiel betreibt, fühlt sich den anderen turmhoch überlegen. Und genau das kann ihm zum Verhängnis werden.
Mit zweierlei Maß messen
Eine wichtige Grundregel des Flegelspiels lautet, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Füße auf dem Schreibtisch wären in einer Organisation absolut nichtswert, in der es betont lässig zugeht und auch der Praktikant ungestraft seine Sneaker auf den Schreibtisch wuchten darf, wenn ihm danach ist. Je strenger solche Verstöße in der Organisation sonst geahndet werden, desto gleißender strahlt die Macht des Flegels.
Dabei bieten sich im Arbeitsalltag viele Gelegenheiten. Sehr verbreitet sind etwa Monologe in Meetings. Jedem anderen Teilnehmer wird rigoros das Wort abgeschnitten, wenn er die vereinbarte Redezeit von einer Minute überschreitet. Denn Meetings sind teuer und müssen effizient genutzt werden. Der Boss verbreitet sich hingegen eine halbe Stunde lang über seine Erlebnisse beim Hochseesegeln. Alle lauschen hochinteressiert. Dynamischere Boss-Spieler bevorzugen das schwungvolle Türenaufreißen: Jeder andere muss zumindest anklopfen, sonst wird er angeblafft. Manche haben auch eine Sekretärin, bei der man sich anmelden muss. Der Boss hält sich nicht mit solchen Formalitäten auf, stürmt ins Büro, ins Besprechungszimmer, in den Seminarraum und erwartet, dass man sich augenblicklich um ihn kümmert. Telefonate sind sofort zu beenden, alle Gespräche zu unterbrechen.
Das sind die vergleichsweise sozialverträglichen Spielarten des Flegelspiels. Bedenklicher wird es schon, wenn der Boss schmutzige Witze erzählt, mit Kraftausdrücken um sich wirft, seiner Sekretärin die Schokolade wegisst oder sich im Büro
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