Machtspiele: Die Kunst, sich durchzusetzen (Haufe Sachbuch Wirtschaft) (German Edition)
Vollbeschäftigung sehr schnell zur Überlastung, die immerhin ein Gutes hat: Für jeden Fehler gibt es jetzt eine nahe liegende Erklärung.
Wer zu tun hat, ist nicht verfügbar
In Hinblick auf seinen Vorgesetzten verfolgt der Vollbeschäftigungsspieler drei Ziele: Er will einen guten Eindruck machen ("Was für ein fleißiger, engagierterMitarbeiter!"). Er will verhindern, dass ihm sein Vorgesetzter irgendeine unangenehme Aufgabe aufdrückt, die außerdem völlig überflüssig ist ("Haben Sie nichts zu tun? Na, dann hätte ich hier was für Sie! Einer müsste mal sämtliche Vertriebspartner abtelefonieren, um sie zu fragen …"). Und vor allem will er signalisieren, dass er "eigentlich" nicht verfügbar ist.
Dadurch kann er den Einfluss seines Vorgesetzten oft erheblich dämpfen, manchmal sogar komplett abwehren. Denn entweder wendet der sich jetzt einem anderen Mitarbeiter zu, den er für sich einspannt. Oder aber der "vollbeschäftigte" Mitarbeiter wird zwar in die Pflicht genommen, doch er kann die Bedingungen abmildern, denn er hat ja noch so vieles anderes zu tun, die er nun zurückstellen muss. Also bekommt er etwas mehr Zeit oder irgendwelche anderen Vergünstigungen, die ihm das Leben oder vielmehr: die Arbeit leichter machen sollen.
Wer nennenswerte "Zonen der Ungewissheit" (vgl. Seite 104) kontrolliert, von denen sein Chef keine Ahnung hat, hat es leichter mit seiner persönlichen Vollbeschäftigung. "Wenn ich will, kann ich den ganzen Tagen arbeiten, ohne etwas zu tun", drückte das mir gegenüber ein leitender Angestellter aus. "Mein Chef kommt einfach nicht an mich heran."
Gefahren
Die größte Gefahr haben wir gerade angesprochen: Das Spiel hat die Tendenz, sich zu verselbstständigen. Mit einem Mal werden Sie von lauter lästigen "Abstimmungsaufgaben" aufgefressen. Ihr E-Mail-Fach quillt über von Kopien, die Ihnen zur Kenntnisnahme zugeschickt werden oder damit Sie "mal einen Blick darauf werfen". Die gute Nachricht ist: Sie sind nicht allein. Allen anderen geht es ebenso. Sie werden von Nebensächlichkeiten abgelenkt und in ihrer Arbeit ständig durch Nichtigkeiten unterbrochen. Die Unterbrechungen sind überhaupt das Allerschlimmste. Immer wieder werden unsere Gedankenfäden abgeschnitten, wir können kaum noch zwei Minuten am Stück über eine Sache nachdenken. Und unsere Vorgesetzten können es häufig noch weniger.
Das ist niederschmetternd und gefährlich, hat jedoch auch sein Gutes: Sie bewegen sich in einem Zustand nahe der Unzurechnungsfähigkeit. Sie können bedenkenlos E-Mails löschen, die nicht auf den ersten Blick als sehr wichtig zu erkennen sind. Gespräche können Sie kurz halten, Störer anraunzen, Rückrufe vergessen – Sie können alles auf den Stress schieben, wenn Sie ihn nun schon mal haben.Das gilt natürlich auch für die Fehler, die Ihnen unterlaufen, unterlaufen müssen, denn wer Stress hat, macht Fehler, reihenweise Fehler. Das lasst sich überhaupt nicht vermeiden, wie die Stressforschung eindrucksvoll belegt hat. Beklagen Sie sich, lassen Sie jeden Gesprächspartner wissen, dass bei Ihnen im Moment Land unter herrscht und die Hütte brennt. Jeder wird dafür Verständnis haben. Und wenn nicht, dann können Sie ihm auch nicht helfen. Denn Sie müssen sich dringend um die nächste Aufgabe kümmern …
Gegenstrategien
Manche Vorgesetzte lassen sich nicht im Geringsten von dem Vollbeschäftigungsspiel beeindrucken, sondern erklären ihrem überbeanspruchten Mitarbeiter zum Beispiel: "Ich brauche von Ihnen ein Konzept. Ungefähr zehn Seiten. Sie haben Zeit bis gestern!" Der Chef setzt seinen Mitarbeiter zeitlich unter Druck und erwartet, dass er auf diese Weise das Maximum herausholt. Das ist jedoch ein Irrtum. Vielmehr bestärkt er seine Mitarbeiter darin, sich hinter irgendwelchen Scheinaktivitäten zu verstecken, um sich noch irgendeinen zeitlichen Puffer zu sichern. Denn bei denen kommt die Botschaft an: Sie tun noch nicht genug, Ihnen kann ich noch mehr aufladen.
Was also ist zu tun? Als Vorgesetzter können Sie schon einiges erreichen, wenn Sie Ihrerseits auf Spielchen verzichten, also den Mitarbeiter nicht künstlich unter Druck setzen und in einen leeren Aktionismus treiben. Darüber hinaus ist es gewiss hilfreich, den Abstimmungsbedarf zu reduzieren, Unterbrechungen einzudämmen und Überlastung nicht als etwas Erstrebenswertes anzuerkennen. Überlastete Mitarbeiter erbringen nicht die maximale Leistung, sondern bleiben weit hinter ihren Möglichkeiten
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