Machtspiele: Die Kunst, sich durchzusetzen (Haufe Sachbuch Wirtschaft) (German Edition)
Weile. Eigentlich würde man erwarten, dass er in dieser Zeit keinen Kampf riskiert, weil er den ja nur verlieren kann, zumindest gegenüber seinen Artgenossen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Bekommt der empfindliche Krebs von einem Konkurrenten Besuch, dann schießt er aus seiner Höhle heraus und demonstriert sofort höchste Kampfbereitschaft. Sein Gegenüber hat gar keine Zeit, die Kräfte näher zu taxieren. Für ihn stellt sich nur die Frage: Kämpfen oder abziehen? Fast immer ergreift der Eindringling die Flucht.
Die süßen Siege im Konkurrenzkampf
Im Büroalltag muss zwar niemand seine Wohnröhre verteidigen, doch kommt es immer wieder vor, dass zwei Rivalen aneinander geraten. Anlässe dafür gibt es viele: Bei einer Besprechung macht der eine den Vorschlag des anderen madig. Der muss sich verteidigen und geht vielleicht zum Gegenangriff über. Oder der eine stellt Forderungen an den Kollegen, die dieser zurückweist. Oder es winkt eine reizvolle Aufgabe und beide möchten sie übernehmen. Oder der eine stürmt in das Büro des anderen, um ihn zur Rede zu stellen, weil er etwas verbockt hat.
Ein Gutteil dieser Auseinandersetzungen sind Scheingefechte in dem Sinne, dass es gar nicht um die Sache geht, sondern darum, den anderen schlecht aussehen zulassen und selbst Recht zu behalten. Man möchte siegen, egal in welcher Disziplin. Und siegen heißt, den Mitspieler zu besiegen: welch ein Triumph, wenn der Rivale mit hochrotem Kopf in Erklärungsnot gerät, Wissenslücken offenbart oder machtlos mit ansehen muss, wie der Chef Sie zu dem Kongress fahren lässt, an dem doch Ihr Gegenspieler so gerne teilgenommen hätte.
Nun stellen sich Unbeteiligte oft die Frage: Warum machen die das? In den seltensten Fällen ergeben sich irgendwelche greifbaren Vorteile. Könnten die sich nicht auf eine "Win-win-Lösung" einigen, wie es so viele Trainer und Berater empfehlen? Natürlich nicht. Die ominöse Formel "Win-win" ist die Umschreibung für ein Unentschieden. Und wer spielt im Konkurrenzkampf schon auf Unentschieden? Bestimmt nicht derjenige, der sich später durchsetzt.
Wie wir aus der experimentellen Psychologie wissen, sind solche kleinen Siege außerordentlich hilfreich. Sie stärken unser Selbstbewusstsein, wir trauen uns mehr zu und gehen mit höherer Wahrscheinlichkeit auch bei der nächsten Auseinandersetzung als Sieger hervor – wenn es zur Abwechslung mal um etwas geht. Der Verlierer jedoch fühlt sich geschwächt. Seine Chancen stehen schlecht. Für den Karrierespieler heißt das: Bringe deinem Konkurrenten möglichst viele kleine Niederlagen bei. Und lasse dich nicht auf eine Auseinandersetzung ein, die du verlierst. Anders gewendet: Führe nur solche Kämpfe, die du auch gewinnen kannst.
Auf der Suche nach den Schwachpunkten
Ein Karrierespieler wird sich daher nicht die Chance entgehen lassen, dort anzusetzen, wo er bei seinem Konkurrenten einen Schwachpunkt vermutet. Das kann der Konkurrent natürlich nutzen und ihn durch gespielte Ahnungslosigkeit in eine Falle locken. Der Karrierespieler greift an und holt sich eine blutige Nase, weil ihm sein Konkurrent gerade hier turmhoch überlegen ist. Das wäre dann gewissermaßen ein umgedrehter Heuschreckenkrebs: Stärken als Schwächen zu tarnen, um den anderen in einen Konflikt hineinzuziehen. Doch bei unserem Ausgangsspiel findet eben das Gegenteil statt: Die Schwachpunkte werden durch ein überbordendes Selbstbewusstsein bemäntelt.
Im Allgemeinen zeigen wir ja nur dann Selbstbewusstsein, wenn wir uns einer Sache sicher sind. Menschen, die uns selbstbewusst gegenübertreten, billigen wir eine hohe Kompetenz zu, häufig zu Recht. Aber es gibt eben auch Menschen, dieuns mit diesem kleinen Trick bluffen. Sie geben sich kompetent, stark, gefährlich – und sind vollkommen blank. Sie lassen uns glauben, sie hätten starke Verbündete im Rücken, und sind gerade jetzt mit denen zerstritten. Und weil wir uns unter diesen Umständen nicht auf eine Konfrontation einlassen wollen, fallen wir auf diese Heuschreckenkrebse herein.
Stärke maskiert Schwäche
Das Spiel funktioniert jedoch nur, solange der Heuschreckenkrebs glaubwürdig erscheint. Sein Gegenspieler muss ihm diese Stärke zutrauen. Und das tut er am ehesten, wenn der Heuschreckenkrebs seine Qualitäten schon einmal unter Beweis gestellt hat – so wie der echte Krebs, der unter normalen Bedingungen durchaus wehrhaft, ja gefährlich ist. Aufgeblasene Hochstapler haben bei diesem Spiel keine Chance,
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