Machtspiele: Die Kunst, sich durchzusetzen (Haufe Sachbuch Wirtschaft) (German Edition)
fühlen sich getäuscht. Oder aber der Scheinhäuptling, der ja nach außen schon mächtig scheint, möchte es auch tatsächlich sein und versucht, Einfluss zu nehmen. Er schirmt nicht ab und hält hin, sondern trifft Entscheidungen, mit denen andere in der Organisation erst einmalzurechtkommen müssen. Darüber hinaus könnte der Scheinhäuptling insgeheim eine eigene Machtbasis aufbauen und somit den Einfluss der echten Häuptlinge unterhöhlen.
Gegenstrategien
Gegen einen geschickt agierenden Scheinhäuptling anzukommen, ist außerordentlich schwierig. Denn er ist ja gerade nicht als Scheinhäuptling zu erkennen, sondern spielt sehr überzeugend die Rolle des einflussreichen Verhandlungspartners. Das einzige Mittel, das Sie haben: Versuchen Sie herauszufinden, ob sich etwas effektiv verändert oder die Gegenseite Sie nur hinhält. Wenn das so ist, sollten Sie mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen. Allerdings ist es gar nicht immer in Ihrem Sinne, dass der Scheinhäuptling auffliegt. Häufig wirkt er ja moderierend, beruhigend, ausgleichend. Und es liegt ja auch eine gewisse Anerkennung darin, wenn die Organisation für Sie Ihren Nana in Bewegung setzt. Die Organisation opfert kostbare Ressourcen für Sie, damit schließlich nichts dabei herauskommt – aber ein Nichts, mit dem im Idealfall alle zufrieden sind, denn es ist hart darüber verhandelt worden. An einem solchen Anspruch würde ein echter Häuptling in aller Regel dramatisch scheitern. Deshalb brauchen Organisationen gute Scheinhäuptlinge, die ihr Spiel zu spielen verstehen.
Das Mülleimerspiel
Wer Macht hat, darf und muss Entscheidungen treffen. Doch Entscheidungen kommen in Organisationen manchmal auf unerwartete Art und Weise zustande, jedenfalls ganz und gar nicht so, wie es die klassische Theorie der rationalen Entscheidung nahe legt: straff und konsequent auf präzise Ziele hin, die erreicht werden sollen. Das ist nur eine Fassade, die aufrechterhalten wird, weil wir das so von einer gut geführten Organisation erwarten. Tatsächlich gibt es weder Straffheit noch Konsequenz, und die "präzisen Ziele" verschwimmen im Laufe der Zeit oder werden durch neue ersetzt. Die Pointe dabei ist, dass dies nicht etwa ein schwerer Mangel ist, den man korrigieren müsste. Sondern im Gegenteil: Die Inkonsequenz, die Biegsamkeit, die Unschärfe helfen der Organisation überhaupt erst, in einer Welt zu bestehen, die sich ständig wandelt.
Das alles ist keine völlig neue Erkenntnis, sondern vor allem durch die Forschungsarbeiten von James G. March und Nobelpreisträger Herbert Simon seit mehr als dreißig Jahren gründlich belegt. March, bis vor kurzem Managementprofessor an der Stanford Universität, entwickelte darauf aufbauend zusammen mit seinen Kollegen Michael D. Cohen und Johan P. Olson das "Mülleimer-Modell der Organisation", einen Klassiker der Organisationsforschung, der so gut zu unserem Thema passt, dass wir zumindest einen Seitenblick darauf werfen wollen.
Die Spielidee
Wie Entscheidungen ausfallen, das hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nichts mit dem sachlichen Hintergrund des Themas zu tun haben. Einer dieser Faktoren ist die "Entscheidungsgelegenheit", also der Zeitpunkt, zu dem entschieden wird. Die wohl häufigste Entscheidungsgelegenheit sind Besprechungen – in allen Variationen. Die Beteiligten treffen zusammen und stimmen sich ab. Die einen engagieren sich mehr, die anderen weniger. Wer nicht direkt betroffen ist, hält sich meist heraus und stimmt dem Vorschlag zu, auf den sich die Betroffenen geeinigt haben. Oder aber er unterstützt denjenigen, der zum Ausgleich ihn in seinem Anliegen unterstützt. Auch gibt es Verbündete, die grundsätzlich zusammenarbeiten, und Gegner, die grundsätzlich aufeinander losgehen.
Die Entscheidungsgelegenheiten sind gewissermaßen die Gefäße für Entscheidungen. Und weil der Ausdruck "Gefäß" zu sehr an einen geordneten Inhalt denken lässt, haben Cohen, March und Olson die Entscheidungsgelegenheiten als "Mülleimer" bezeichnet, in den alles Mögliche hineingekippt wird, was zur Entscheidung ansteht. Für die Spieler kommt es darauf an, den Mülleimer im geeigneten Moment zu befüllen, um eine Entscheidung in ihrem Sinne herbeizuführen.
Was ist im Mülleimer?
Nicht jeder darf den Entscheidungsmülleimer füllen. Und nicht jeder darf ihn in gleichem Maße voll packen. Eine nicht unerhebliche Macht besteht nämlich in der Kontrolle darüber, was in den Mülleimer hinein darf, worüber also
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