Madam Wilkin's Palazzo
die
Anatole aus Paris sicher zu ekstatischen Schreien hingerissen hätte. Ihre Hände
steckten in blendendweißen Handschuhen. Ein Hauch von Rosenduft umgab sie. Sie
war, um es mit einem Wort zu sagen, eine Sensation.
C. Edwald Palmerston strahlte. Er hörte
gar nicht mehr auf, Mrs. Sorpendes Arm zu tätscheln, um ihre Aufmerksamkeit auf
das eine oder andere Exponat zu lenken, und ließ sich mit derartigem Enthusiasmus
über die Bilder aus, als sei er nie informiert worden, daß es sich lediglich um
Kopien handelte. Als sie den Großen Salon erreichten und er begann, den Romney
zu preisen, erinnerte sich Sarah plötzlich an einen Satz, den Dolores Tawne
gesagt hatte: »Wenn sogar ein Kenner wie Sie den Unterschied nicht feststellen
kann, dann ist es doch wohl ziemlich egal, oder?«
So gedachte Palmerston also die Sache
anzugehen. Wenn Max Bittersohn die gestohlenen Bilder nicht zurückholen konnte
— und da es viele waren und sie schon seit langer Zeit verschwunden waren, war
dies eigentlich unmöglich —, würde Palmerston einfach hingehen und so tun, als
habe es nie einen Raub gegeben. Die Kopien würden dort hängen bleiben, wo
eigentlich die Originale hingehörten, und noch mehr Staub und Patina ansetzen,
daß selbst Experten Schwierigkeiten haben würden, sie als Fälschungen zu
identifizieren. So lange, wie es Palmerston gelang, Treuhänder des Museums zu
bleiben, konnte er dafür sorgen, daß keine drastischen Säuberungs- oder
Restaurationsaktionen vorgenommen wurden. Damit konnte er sein Gesicht wahren,
und ein weiteres Stück Bostoner Kulturgut wäre für immer verloren. Sarah machte
eine unwillkürliche Geste des Protests, woraufhin sich ihr Sari aufzulösen
begann.
Glücklicherweise hatten alle Anwesenden
in ihrer Nähe noch immer nur Augen für Mrs. Sorpende, und glücklicherweise
entdeckte sie sogar eine Zufluchtsstätte. Jetzt kam es ihr durchaus gelegen,
daß Madam Wilkins eine leidenschaftliche Sänftensammlerin gewesen war. Sarah
raffte die problematischen Seidenbahnen zusammen, so gut sie konnte, eilte zur
nächsten Sänfte und verschwand darin.
Die letzte Person, die in diesem
winzigen kastenartigen Gestell auf Stelzen gesessen hatte, war sehr
wahrscheinlich irgendeine gepuderte, ungebadete Schönheit mit Perücke aus der
Zeit Ludwigs XV. gewesen. Die Sänfte roch jedenfalls so, als sei sie seitdem
nicht mehr gelüftet worden. Die kleinen ovalen Fensterchen waren grün vor Alter
und fast undurchsichtig vor Schmutz. Sarah kauerte sich dankbar auf den
schmalen Sitz, hielt sich so weit wie möglich vom Fenster weg und machte sich
an die Wiederherstellung ihres Saris.
Sie suchte verzweifelt in der
Handtasche, die sie bei sich trug, und fand darin wie durch ein Wunder eine
kleine Sicherheitsnadel. Nach einigen komplizierten Verrenkungen gelang es ihr,
die heimtückischen Faltenwürfe zu ordnen und zu sichern. Sie hätte also
eigentlich die Sänfte wieder verlassen können, doch sie tat es nicht. Erstens
schmerzten ihre Füße, denn durch die Nylonstrümpfe, die auszuziehen sie nicht
übers Herz gebracht hatte, fand sie in den ausgetretenen alten Sandalen keinen
richtigen Halt. Außerdem machte es ihr richtig Spaß, von ihrem geheimen Ausguck
Mrs. Sorpende und ihre Bewunderer zu beobachten.
Bittersohn gehörte zu denjenigen, die
ihr die schönsten Augen machten, und Sarah verspürte einen Anflug von
Verärgerung. Aha, jetzt vermißte er endlich seine kleine Inderin. Er schaute
sich überall im Großen Salon nach ihr um, konnte sie aber nicht finden. Sie
jedoch konnte ihre gesamte Umgebung genau überblicken und blieb dennoch
unsichtbar.
Inzwischen war Bittersohn offenbar
wirklich verunsichert und begann, besorgt auszusehen. Während die anderen in
den Tizian-Saal entschwanden, verfolgte er langsam den Weg zurück, den er
gekommen war, wobei er genau an ihrer Sänfte vorbeikam. Sarah beschloß, die
Sänfte zu verlassen, öffnete die Tür, die zu ihrer Verwunderung sofort ohne ein
Geräusch nachgab, und schlich auf Zehenspitzen hinter ihm her.
»Suchen Sie jemanden?«
Bittersohn fuhr erschrocken zusammen.
Wenn er näher an der Balustrade gestanden hätte, wäre es durchaus möglich
gewesen, ihn vom Balkon zu stoßen. Besonders wenn er ein alter Mann gewesen
wäre, mit dessen Gesundheit es nicht zum Besten stand. Joe Witherspoon mußte genau
an dieser Stelle hinuntergestürzt sein.
»Um Gottes willen! Wo waren Sie bloß?«
fragte er wütend.
Urplötzlich wußte Sarah haargenau, wo
sie gewesen
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