Madam Wilkin's Palazzo
hatte inzwischen ihre Bluse
und ihren Rock angezogen. Vielleicht konnte sie jetzt noch einmal ganz schnell
zurück in seine Arme, nur für einen Moment? »Kannst du noch ein bißchen Geduld
mit mir haben? Mir die Möglichkeit geben, wieder etwas festen Boden unter die
Füße zu bekommen?«
»Und dann?« murmelte er in ihren
Nacken.
»Dann können wir doch immer noch sehen,
wie sich alles weiter entwickelt, nicht?« Sie bemerkte, daß ihre Stimme
zitterte, ihr Körper übrigens auch. »Aber vielleicht ist dir das alles viel
zuviel.«
»Sarah, um Gottes willen! Weißt du
überhaupt, was ich durchmache da unten im Souterrain, wo ich doch weiß, daß du
oben ganz allein in deinem Doppelbett liegst? Ich bin schon soweit, daß ich
mich am Bettpfosten festketten muß.«
»Für mich ist es auch nicht gerade ein
Kinderspiel, wenn du die Wahrheit wissen willst. Aber im übrigen hat dein Bett
gar keine Pfosten, du brauchst also gar nicht so melodramatisch zu werden.
Beeil dich lieber ein bißchen, wir müssen nach Hause, bevor Charles uns wegen
ungehörigen Betragens vor die Tür setzt.«
»Meine Güte, was bist du doch für eine
grausame Frau!« Aber Bittersohn lächelte trotzdem, als sie das Büro verließen.
Sie gingen zu Fuß durch den Common. Es
wäre dumm gewesen, für so eine kurze Strecke ein Taxi zu nehmen, und es war
wirklich angenehm für eine müde junge Frau, sich bei einem galanten Gentleman
einzuhängen, der ihr dabei behilflich war, die vielen Bordsteine und
Schlaglöcher zu meistern, selbst wenn sie manchmal nur in der Phantasie
existierten. Sie wählten den Hintereingang, denn es wäre dumm gewesen zu
riskieren, daß Mrs. Sorpende sie zusammen sah und sich möglicherweise an etwas
erinnerte, das sie eigentlich nicht wissen durfte. Der dunkle kleine Eingang
bei den Mülltonnen war ein sicherer, wenn auch gänzlich unromantischer Ort, an
dem sich eine Pensionswirtin von ihrem Pensionsgast küssen lassen konnte, ohne
erwischt zu werden. Es wäre dumm gewesen, sich die Gelegenheit entgehen zu
lassen.
Als Sarah schließlich nach
erfolgreicher Vermeidung all dieser Dummheiten in ihre Küche eilen konnte, war
die Zeit für das Abendessen in gefährliche Nähe gerückt. »Mariposa«, keuchte
sie, »tut mir leid, daß ich so spät komme. Ist alles in Ordnung?«
»Alles tipptopp, Schätzchen. Wo haben
Sie denn die ganze Zeit gesteckt?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt,
im Büro meines Anwalts.«
»Ja, das haben Sie gesagt. Señor Max
war offenbar auch im Anwaltsbüro?«
»Natürlich nicht! Wir haben uns nur
zufällig draußen getroffen.«
»Das muß ja ein heftiger Zusammenstoß
gewesen sein!«
»Ich muß mich umziehen.«
Sarah hätte sich eigentlich denken
können, daß Mariposa gesehen hatte, wie sie zusammen am Hintereingang
angekommen waren, und dann die richtigen Schlüsse gezogen hatte, warum Sarah so
lange gebraucht hatte, um nach oben zu kommen. Als sie schließlich in ihrem
Zimmer im Spiegel ihr verschmiertes Gesicht und die in Unordnung geratene
Kleidung sah, mußte allerdings auch sie zugeben, daß sie sich an Mariposas
Stelle die Anwaltsgeschichte genausowenig abgekauft hätte. Aber Mariposa hatte
ja nun wirklich keinen Grund, ihr eine Moralpredigt zu halten.
Sie machte sich in Windeseile frisch
und warf sich in ein unverwüstliches Dinnerkleid aus schwarzem Crêpe, das schon
ihre Mutter viele Jahre lang begleitet hatte, bevor Sarah es von ihr geerbt
hatte. Falls sie damit allerdings unterbewußt versucht haben sollte, sich ins
Gedächtnis zu rufen, daß sie immer noch eine Witwe war, die um ihren geliebten
Mann trauerte, machte sie offenbar irgend etwas falsch. Sie war nämlich kaum
unten in der Bibliothek angekommen, als Mrs. Gates auch schon feststellte:
»Mrs. Kelling, Sie strahlen ja heute richtig! Demnach darf man annehmen, daß
Ihr Treffen erfolgreich verlaufen ist?«
»Wir haben jedenfalls Fortschritte
gemacht«, sagte Sarah und versuchte, dabei Mr. Bittersohn nicht anzusehen,
wobei sie spürte, daß er seinerseits versuchte, sie nicht anzusehen. »Mrs.
Sorpende, tausend Dank, daß Sie mich vertreten haben. Sie machen es viel
besser, als ich es je könnte. Charles, habe ich noch Zeit für einen kleinen
Sherry vor dem Essen?«
»Sie haben noch genau fünf Minuten
Zeit, Madam.« Charles war eindeutig verstimmt darüber, daß er seine Vorstellung
während der letzten Stunde nicht vor einem vollen Haus hatte geben können.
Sarah trank trotzdem ihren Sherry. Sie
fühlte, daß sie
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