Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madam Wilkin's Palazzo

Madam Wilkin's Palazzo

Titel: Madam Wilkin's Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
Vom Netzwerk:
mir das Ding.«
    Sie kramte in ihrer Handtasche und gab
ihm den Lippenstift. Er bog ihren Kopf nach hinten, so daß er sehen konnte, wo
er den Punkt zwischen ihre Augen machen mußte. Seine Hände fühlten sich
ziemlich heiß an, und Sarah stellte erstaunt fest, daß sie ein wenig zitterten.
    »So, ich habe Ihnen nur ein ganz
kleines Kastenzeichen gemacht. Das paßt zu Ihrer Rolle als Halbblut.«
    »Ich bin sicher eine absolute
Fehlbesetzung.«
    »Sie sind heute ja ganz schön munter.
Warum haben Sie denn die Sandalen noch nicht angezogen?«
    »Warum haben Sie mich nicht daran
erinnert, bevor ich in diesen Kokon geschlüpft bin? Jetzt wage ich nicht mehr,
mich zu bücken.«
    »Wo haben Sie die Dinger denn? Hier in
der Tasche?« Bittersohn zog sie heraus, kniete sich vor Sarah hin, zog ihr die
Schuhe aus und die Sandalen an, während sie oben auf dem abgenutzten Tisch
hockte, der beinahe das einzige Möbelstück im Raum war. »Jetzt noch das Make-up
und die Perücke.«
    »Make-up? Warum haben Sie dann
überhaupt dieses Meisterwerk auf meine Stirn gemalt, wenn ich jetzt noch
Make-up auflegen soll? Und wie soll ich es schaffen, meine Arme in dieser
Zwangsjacke von einer Bluse zu bewegen?«
    »Ich wußte doch, daß Sie meckern
würden. Beeilen Sie sich, wir müssen los.« Er stülpte ihr die schwarze Perücke
über den Kopf und warf ihr den langen, dicken Zopf über die Schulter. Dann
verbrachte er sehr viel Zeit mit dem Versuch, das braune Make-up von ihren
Wangen nach oben zu verteilen. Sarah mußte sich schließlich selbst zu Ende
schminken.
    »So, jetzt bin ich so bereit wie
möglich. Aber was ist mit unseren Augen? Ihre sind blaugrau und meine
grünlichbraun. Haben nicht alle Inder braune Augen?«
    »Wir müssen sie eben verdecken.« Bittersohn
reichte ihr eine billige Sonnenbrille und setzte sich selbst ebenfalls eine
auf. »Und nicht vergessen: Sie sprechen kein Wort Englisch. Wenn Sie jemand
anspricht, lächeln Sie nur und schütteln den Kopf.«
    »Und was mache ich, wenn es ein Inder
ist?«
    »In dem Fall sprechen Sie eben einen
anderen Dialekt. Können Sie nicht aufhören, den Sari festzuhalten, als ob er
jeden Moment herunterfallen würde?«
    »Genau das befürchte ich ja. Kann ich
meinen Mantel anziehen, oder soll ich mich im Interesse der künstlerischen
Detailtreue totfrieren?«
    »Kennt Mrs. Sorpende den Mantel?«
    »Das glaube ich kaum. Er hat meiner
Mutter gehört, und ich habe ihn kaum getragen, außerdem sieht sie mich nie,
wenn ich ausgehe.«
    »Dann werfen Sie sich den Mantel über
die Schultern. Hier, kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Bittersohn packte Sarah und
ihre diversen Gewänder in den Aufzug, fuhr mit ihr nach unten und rief ein
Taxi. Er sprach mit einem Akzent, den er verwegener Weise für besonders
britisch hielt und in den er merkwürdige Zischlaute einbaute, und ließ den
Fahrer zu Madam Wilkins’ Palazzo fahren. Dann lehnte er sich zurück, um seine
Rolle weiter auszuarbeiten, während Sarah in der anderen Ecke des Fahrzeuges
kauerte und überlegte, ob sie lieber auf der Stelle vor Verlegenheit sterben oder
damit solange warten sollte, bis man sie in Madams Palazzo ausgebuht hatte.
    Dabei hatte sie sich völlig umsonst
aufgeregt, denn keiner beachtete sie auch nur im geringsten. Mrs. Sorpende war
unmittelbar vor ihnen eingetroffen. Sogar der Kartenabreißer am Eingang
seufzte: »Mein Gott, ich hatte keine Ahnung, daß so etwas Tolles heute
überhaupt noch herumläuft.«
    Sarah wurde durch das Drehkreuz
gedrängt und dann mehr oder weniger sich selbst überlassen. Vielleicht
erwartete man von indischen Ehefrauen, daß sie unterwürfig hinter ihrem Ehemann
hertrotteten. Jedenfalls würden Mr. Bittersohns Versuche, in Mrs. Sorpendes
Nähe zu kommen, keinem auffallen, denn jedes andere männliche Wesen im Palazzo
versuchte gerade genau dasselbe. Hutlose Damen in soliden, pflegeleichten
Kleidern warfen Mrs. Sorpende wütende Blicke zu, als sie mit ihrem Gefolge im
Schlepptau das Treppenhaus emporschwebte.
    Wie Sarah hatte auch Mrs. Sorpende
ihren Mantel in der Garderobe gelassen, da die riesigen Oberlichte das Innere
des Palazzos genügend mit Solarenergie aufheizten. Sie trug ihr einziges
schwarzes Tageskleid, ein Gewand, das nicht besonders aufregend gewesen wäre,
wenn es ihr nicht wie angegossen gepaßt hätte. Die Perlen an Ohren und Hals
waren so dezent, daß sie echt aussahen. Auf ihrem kompliziert frisierten Haar
thronte eine phantastische Création aus cremefarbenem Satin und Tüll,

Weitere Kostenlose Bücher