Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Frömmigkeit, wie er fand, wegen allzuviel Inbrunst leicht an Ketzerei grenzen konnte, ja sogar an Überspanntheit. Da er auf diesen Gebieten jedoch nicht sehr bewandert war, sobald sie ein gewisses Maß überstiegen, schrieb er an Monsieur Boulard, den Buchhändler Seiner Exzellenz, und bat um Zusendung von etwas Vortrefflichem für eine Person weiblichen Geschlechts, die überaus geistreich sei . Der Buchhändler packte mit einer Gleichgültigkeit, als verschickte er Flitterkram für irgendwelche Neger, alles kunterbunt durcheinander, was im Handel gerade verfügbar war an frommen Büchern. Kleine Leitfäden mit Fragen und Antworten, Pamphlete in überheblichem Ton nach der Art von Monsieur de Maistre und Romane in rosa Pappband und süßlichem Stil, verfertigt von Seminaristen mit Berufung zum Minnesang oder bekehrten Blaustrümpfen. Es fanden sich darunter das Denkt daran ; Der Weltmann zu Füßen Mariä, von Monsieur de ***, Träger mehrerer Orden ; Die Irrtümer Voltaires, zum Gebrauch für die Jugend , usw.
Madame Bovary war noch nicht bei so klarem Verstand, dass sie sich ernsthaft mit irgendetwas befassen konnte; außerdem begann sie viel zu überstürzt mit dem Lesen. Sie ereiferte sich gegen die Glaubensvorschriften; die Anmaßung der polemischen Werke missfiel ihr wegen der Verbissenheit, mit der Leute verfolgt wurden, die sie nicht kannte; und die mit Religion verbrämten weltlichen Geschichten dünkten sie von solcher Unkenntnis der Welt, dass sie ihretwegen unmerklich von den Wahrheiten abrückte, deren Beweis sie erwartete. Sie ließ jedoch nicht locker, und wenn ihr das Buch aus den Händen glitt, wähnte sie sich von der erlesensten katholischen Melancholie befallen, die eine ätherische Seele empfinden konnte.
Die Erinnerung an Rodolphe hatte sie vergraben in der tiefsten Tiefe ihres Herzens; und da ruhte sie, feierlicher und regloser als eine Königsmumie im Kellergewölbe. Ein Duft entströmte dieser großen einbalsamierten Liebe, der alles durchdrang, und er erfüllte mit Zärtlichkeit die Atmosphäre der Unbeflecktheit, in der sie leben wollte. Wenn sie auf ihrem altertümlichen Betschemel kniete, sagte sie dem Herrn die gleichen süßen Worte, die sie einst ihrem Liebhaber zuflüsterte in den Wonnen des Ehebruchs. So wollte sie den Glauben erzwingen; doch kein Labsal kam vom Himmel, und sie stand auf mit müden Gliedern und dem leisen Gefühl von einem Riesenschwindel. Dieses Suchen, dachte sie, war ein weiteres Verdienst; und im Hochmut ihrer Gottergebenheit verglich Emma sich mit den edlen Damen früherer Zeiten, von deren Ruhm sie über einem Porträt der La Vallière geträumt hatte und die, würdevoll die goldstrotzenden Schleppen ihrer langen Kleider nachschleifend, sich an einsame Orte zurückzogen, um dort zu Füßen Christi all die Tränen eines vom Leben geschundenen Herzens zu vergießen.
Dann ergab sie sich maßloser Barmherzigkeit. Sie nähte Kleider für die Armen; Frauen im Wochenbett schickte sie Holz; und als Charles eines Tages nach Hause kam, saßen in der Küche drei Taugenichtse am Tisch und löffelten Suppe. Sie nahm ihre kleine Tochter wieder zu sich, die ihr Mann während der Krankheit zur Amme gegeben hatte. Sie wollte ihr das Lesen beibringen; Berthe konnte noch so viel weinen, sie wurde nicht mehr ärgerlich. Sie hatte sich zur Resignation entschlossen, zu allgemeiner Nachsicht. Ihre Sprache war, alles und jedes betreffend, voll vorbildlicher Ausdrücke. Zu ihrem Kind sagte sie:
»Hat dein Bauchweh aufgehört, mein Engel?«
Die alte Madame Bovary fand nichts zu tadeln, außer vielleicht ihre Sucht, Leibchen für Waisen zu stricken, anstatt Küchentücher zu stopfen. Doch erschöpft von den häuslichen Streitereien, fühlte die gute Frau sich wohl in diesem ruhigen Haus, und sie blieb sogar bis nach Ostern, um den Sarkasmen des alten Bovary zu entgehen, denn der bestellte sich an jedem Karfreitag verlässlich eine Andouille.
Neben dem Umgang mit der Schwiegermutter, die ihr wegen der Geradheit ihrer Ansichten und ihres ernsten Wesens ein wenig Halt gab, hatte Emma fast jeden Tag noch andere Gesellschaft. Es kamen Madame Langlois, Madame Caron, Madame Dubreuil, Madame Tuvache und regelmäßig von zwei bis fünf die vortreffliche Madame Homais, die keine einzige der Klatschgeschichten, die über ihre Nachbarin erzählt wurden, je hatte glauben wollen. Die kleinen Homais’ besuchten sie ebenfalls; Justin war auch dabei. Er kam mit ihnen herauf ins Zimmer; und er
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