Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
scheint mir eine Tölpelei, eine Idee aus dem Mittelalter, würdig jener grässlichen Zeiten, in denen man Galilei einsperrte.«
»Ich weiß wohl«, setzte der Pfarrer entgegen, »dass es gute Werke gibt, gute Autoren; doch allein die Tatsache, dass Personen verschiedenen Geschlechts in einem zauberischen, mit weltlicher Hoffart geschmückten Raum zusammenkommen, und dann noch diese heidnischen Verkleidungen, diese Schminke, diese Kerzenleuchter, diese weibischen Stimmen, all das muss ja eine gewisse Liederlichkeit des Geistes hervorbringen und unkeusche Gedanken befördern, schmutzige Versuchungen. Das ist wenigstens die Ansicht aller Kirchenväter. Kurzum«, fügte er hinzu und verfiel plötzlich in einen mystischen Ton, während er auf dem Daumen eine Prise Tabak rollte, »wenn die Kirche das Schauspiel verdammt hat, dann hatte sie recht; wir müssen uns ihren Entscheidungen unterwerfen.«
»Warum«, fragte der Pharmazeut, »exkommuniziert sie die Schauspieler? früher einmal wirkten sie doch ganz offen mit bei religiösen Feierlichkeiten. Ja, man spielte, man gab Schwänke mitten im Chor, sogenannte Mysterien, und die verletzten häufig die Gesetze des Anstands.«
Der Geistliche beschränkte sich auf ein leises Stöhnen, und der Apotheker fuhr fort:
»Das ist wie mit der Bibel; da gibt es …, wissen Sie …, mehr als eine … pikante Stelle, Dinge … also die sind in der Tat … schlüpfrig!«
Und als Monsieur Bournisien ärgerlich abwinkte:
»Ha! Sie müssen zugeben, dieses Buch sollte nicht in die Finger eines jungen Mädchens geraten, und ich würde mich schön bedanken, wenn Athalie …«
»Aber es sind doch die Protestanten und nicht wir«, rief der andere verzweifelt, »die zum Lesen der Bibel auffordern!«
»Einerlei!« sagte Homais, »ich wundere mich, dass heutzutage, in einem aufgeklärten Jahrhundert, nach wie vor eine geistige Entspannung verboten wird, die harmlos ist, sittenverbessernd und manchmal sogar gesundheitsfördernd, nicht wahr, Doktor?«
»Gewiss«, antwortete der Arzt ein wenig lasch, weil er entweder dieselbe Meinung vertrat und niemanden kränken wollte, oder weil er keine Meinung besaß.
Das Gespräch schien zu Ende, da hielt es der Apotheker für angebracht, noch einen letzten Hieb auszuteilen.
»Ich habe Priester gekannt, die bürgerliche Kleidung anlegten, um Tänzerinnen hopsen zu sehen.«
»Ach was!« sagte der Pfarrer.
»Oh! Ich hab welche gekannt!«
Und jede Silbe seines Satzes einzeln betonend, wiederholte Homais:
»Ich – hab – welche – gekannt.«
»Dann waren sie eben im Unrecht!« sagte Bournisien, nun schon auf alles gefasst.
»Sackerment! die treiben’s noch viel schlimmer!« rief der Pharmazeut.
»Monsieur! …« erwiderte der Geistliche mit so wildem Blick, dass der Apotheker einen Schreck bekam.
»Ich will ja nur sagen«, entgegnete er in weniger grobem Ton, »Toleranz ist der sicherste Weg, Seelen für die Religion zu gewinnen.«
»Wie wahr! wie wahr!« pflichtete der gute Mann bei und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
Doch es hielt ihn nur zwei Minuten. Kaum war er fort, sagte Monsieur Homais zum Arzt:
»So was nennt man ein Wortgefecht! Dem hab ich’s gezeigt, Sie waren Zeuge, nach Strich und Faden! … Also, glauben Sie mir, gehen Sie mit Madame ins Theater, und sei’s nur, damit Sie einmal im Leben einen von diesen schwarzen Vögeln in Rage bringen, sapperlot! Wenn mich jemand vertreten könnte, ich käme selber mit. Beeilen Sie sich! Lagardy gibt nur eine einzige Vorstellung; er hat ein Engagement in England, mit einer Riesengage. Er ist nach allem, was man hört, ein gewiefter Kumpan! der hat Geld wie Heu! er reist mit drei Mätressen und seinem Koch! Bei all diesen großen Künstlern brennt das Licht an beiden Enden; sie müssen ein ausschweifendes Leben führen, das die Phantasie ein wenig beflügelt. Aber sie sterben im Armenhaus, denn sie waren nicht schlau genug, in der Jugend zu sparen. Na, guten Appetit; bis morgen!«
Die Idee, ins Theater zu gehen, keimte rasch in Bovarys Kopf; denn sogleich erzählte er davon seiner Frau, die zunächst nicht wollte, Müdigkeit vorschützte, die Umstände, das Geld; doch ausnahmsweise ließ Charles nicht locker, so überzeugt war er, dieser Zeitvertreib müsse seiner Frau guttun. Er sah kein Hindernis; von seiner Mutter waren dreihundert Franc eingetroffen, mit denen er nicht mehr gerechnet hatte, die laufenden Schulden waren nicht enorm, und die Fälligkeit der Wechsel, die er dem
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