Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Herrn Lheureux unterschrieben hatte, lag noch in so weiter Ferne, dass er keinen Gedanken daran verschwenden musste. Da Charles sich noch dazu einbildete, sie weigere sich aus bloßer Rücksicht, blieb er hartnäckig; sodass sie seinem Drängen schließlich nachgab. Und am nächsten Morgen um acht saßen sie in der Hirondelle .
Der Pharmazeut, der in Yonville zwar nichts versäumte, von seiner Unabkömmlichkeit aber fest überzeugt war, seufzte, als er sie abfahrbereit sah.
»Nun denn, gute Reise!« sagte er, »ihr glücklichen Menschen!«
Und sich an Emma wendend, die ein blaues Seidenkleid mit vier Falbeln trug:
»Ich finde Sie schön wie eine Liebesgöttin! Sie werden Erfolg haben in Rouen.«
Der Postwagen hielt vor dem Hotel La Croix rouge , an der Place Beauvoisine. Das war einer von jenen Gasthöfen, die man in allen Vorstädten der Provinz findet, mit großen Pferdeställen und kleinen Schlafzimmern, und wo mitten auf dem Hof die Hühner ihren Hafer picken, unter den kotbespritzten Kabrioletts der Handlungsreisenden; – gute alte Nachtquartiere mit wurmstichigen Holzbalkonen, die bei Sturm in Winternächten ächzen, ständig voller Menschen, voller Lärm und Fressereien; ihre schwarzen Tische klebrig von den Glorias , ihre dicken Glasscheiben gelb von den Fliegen, ihre feuchten Servietten fleckig vom Rotwein; und immer riechen sie nach Dorf wie Stallknechte in bürgerlichem Aufzug, haben ein Kaffeehaus zur Straße und auf der Rückseite einen Gemüsegarten. Charles machte sich unverzüglich auf den Weg. Er verwechselte das Proszenium mit den Galerien, das Parkett mit den Logen, bat um Auskunft, verstand nichts, wurde vom Kontrolleur zum Direktor geschickt, kam zurück in den Gasthof, ging wieder zum Kartenbüro und lief auf diese Weise mehrmals durch die gesamte Stadt, vom Theater bis hinaus zum Boulevard.
Madame kaufte sich einen Hut, Handschuhe, ein Sträußchen. Monsieur fürchtete sehr, den Anfang zu versäumen; und ohne dass sie noch Zeit gehabt hätten, wenigstens eine Brühe zu trinken, eilten sie zum Theater und standen dort vor noch verschlossener Tür.
Anmerkungen
XV.
Die Menge drängte sich entlang der Mauer, symmetrisch eingepfercht zwischen Absperrungen. An allen Straßenecken verkündeten riesige Plakate in Schnörkelschrift: » Lucie de Lammermoor … Lagardy … Oper … usw.« Das Wetter war schön; den Menschen war heiß; der Schweiß rann über die Lockenköpfe, gezückte Taschentücher trockneten rote Stirnen; und manchmal zerrte ein vom Fluss herwehender lauer Wind träge am Saum der Markisen aus Drillich, die sich über den Kneipentüren wölbten. Ein Stück weiter unten jedoch wurde man von einem eisigen Luftzug gekühlt, der nach Fett roch, nach Leder und Öl. Das war die Ausdünstung der Rue des Charrettes mit ihren großen schwarzen Lagerhäusern, wo schwere Fässer gerollt werden.
Aus Angst, sie könnten lächerlich wirken, wollte Emma vor dem Hineingehen noch über den Hafen spazieren, und Bovary hielt die Karten vorsichtshalber mit der Hand in seiner Hosentasche und drückte sie gegen den Bauch.
Schon im Foyer bekam sie Herzklopfen. Unwillkürlich musste sie vor Stolz lächeln beim Anblick der Menge, die nach rechts in den anderen Korridor drängte, während sie die Treppe zum ersten Rang hinaufschritt. Es machte ihr Spaß wie einem Kind, mit dem Finger die breiten gepolsterten Türen aufzustoßen; tief atmete sie den staubigen Geruch der Flure, und als sie in ihrer Loge saß, straffte sie den Körper mit der Ungezwungenheit einer Herzogin.
Der Saal begann sich zu füllen, Operngläser wurden aus Etuis gezogen, und die Abonnenten, die einander von weitem sahen, wechselten Grüße. Sie wollten sich bei der schönen Kunst erholen von den Sorgen des Handels; freilich vergaßen sie dabei keineswegs die Geschäfte und plauderten weiter über Baumwolle, Hochprozentiges oder Indigo. Hier erblickte man Greisenköpfe, ausdruckslos und friedfertig, mit ihrem weißlichen Haar und ihrer weißlichen Haut Silbermedaillen gleichend, stumpf geworden in Dämpfen von Blei. Die jungen Stutzer paradierten durchs Parkett und stellten im Ausschnitt ihrer Westen rosarote oder apfelgrüne Halsbinden zur Schau; und Madame Bovary bewunderte von oben, wie elegant ihre Faust auf dem Goldknauf der Spazierstöckchen lag, im gelben Handschuh.
Doch nun wurden die Kerzen im Orchestergraben entzündet; der Lüster schwebte von der Decke und verströmte mit dem Gefunkel seiner Facetten plötzliche
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