Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
für sie wie Kometen in der finsteren Unermesslichkeit der Geschichte, wo noch hier und da, jedoch verlorener im Dunkel und ohne jede Verbindung untereinander, Ludwig der Heilige mit seiner Eiche und der sterbende Bayard hervorstachen, ein paar Grausamkeiten Ludwigs XI., ein bisschen Bartholomäusnacht, der Helmbusch des Béarners und immer wieder die Erinnerung an die bemalten Teller zu Ludwigs XIV. Ruhm.
In den Romanzen, die sie während der Musikstunde sang, ging es nur um Engelein mit güldenen Flügeln, um Madonnen, Lagunen, Gondolieri, und hinter der stilistischen Einfalt und dem musikalischen Ungeschick dieser friedvollen Kompositionen erahnte sie die verlockenden Gaukeleien der Liebesdinge. Einige ihrer Kameradinnen brachten auch die Keepsakes mit ins Kloster, die sie zu Neujahr bekommen hatten. Sie mussten versteckt werden, es war eine Riesenaffäre; man las sie im Schlafsaal. Emma berührte vorsichtig die schönen Atlaseinbände und starrte hingerissen auf die Namen der unbekannten Autoren, die ihre Beiträge zumeist mit Comte oder Vicomte gezeichnet hatten.
Sie schauderte, wenn ihr Atem das Seidenpapier von den Stichen blies, das sich halb gefaltet hob und sanft wieder auf die Seite hinuntersank. Da stand hinter einer Balkonbrüstung ein junger Mann im kurzen Mantel und hielt ein junges Mädchen im weißen Kleid umfangen, das am Gürtel ein Pompadourtäschchen trug; oder die anonymen Porträts zeigten blondgelockte englische Ladies, die unter ihrem runden Strohhut mit großen hellen Augen hervorblickten. Man sah sie in Kutschen geschmiegt, die durch Parks schwebten, und ein Windhund sprang vor dem trabenden Gespann, das zwei kleine Postillione in weißen Kniehosen lenkten. Andere wiederum saßen verträumt auf Sofas, ein aufgerissenes Billett neben sich, und betrachteten den Mond durch das halb geöffnete und von einem schwarzen Vorhang leicht verhüllte Fenster. Die Naiven, auf der Wange eine Träne, kosten ein Turteltäubchen durch die Stäbe eines altertümlichen Käfigs oder zerpflückten, den Kopf lächelnd zur Seite geneigt, eine Margerite mit ihren spitzen, wie Schnabelschuhe gebogenen Fingern. Und auch ihr wart dabei, ihr Sultane mit langen Pfeifen, schmachtend hingestreckt unter Lauben, Bajaderen im Arm, Giaurs, Türkensäbel, griechischen Mützen, und ihr vor allem, ihr fahlen Landschaften dithyrambischer Gefilde, die ihr uns häufig Palmen und Tannen zugleich zeigt, Tiger zur Rechten, ein Löwe zur Linken, tatarische Minarette am Horizont, im Vordergrund römische Ruinen, dazu noch lagernde Kamele; – das alles umrahmt von einem fein säuberlich geputzten Urwald und mit einem langen Sonnenstrahl von oben nach unten, im Wasser flimmernd, wo sich da und dort als weiße Ritzer auf stahlgrauem Grund gleitende Schwäne abzeichnen.
Und der Schirm einer Öllampe, die über Emmas Kopf an der Wand hing, warf sein Licht auf all diese Bilder aus der großen Welt, die nacheinander an ihr vorüberzogen, in der Stille des Schlafsaals und begleitet vom fernen Geratter eines verspäteten Fiakers, der noch über die Boulevards rollte.
Als ihre Mutter starb, weinte sie in den ersten Tagen viel. Sie ließ sich ein Trauerbild machen mit dem Haar der Verewigten, und in einem Brief, den sie nach Les Bertaux schickte, voll schwermütiger Gedanken über das Leben, bat sie, später einmal im gleichen Grabe zu liegen. Der gute Mann hielt sie für krank und kam zu Besuch. Emma war in ihrem Inneren zufrieden, denn sie meinte, sie habe es auf Anhieb zu jenem seltenen Ideal bleicher Existenzen gebracht, das mittelmäßige Herzen nie erreichen. Sie ließ sich also fortschwemmen von Lamartineschen Mäandern, lauschte den Harfen auf den Seen, allen Gesängen sterbender Schwäne, allen herabfallenden Blättern, den reinen Jungfrauen, die gen Himmel fahren, und der Stimme des Ewigen, die erschallet in den Tälern. Sie verspürte Langeweile, wollte es nicht zugeben, machte aus Gewohnheit weiter, dann aus Eitelkeit, und stellte am Ende überrascht fest, dass ihr Schmerz gelindert war und nicht mehr Schwermut in ihrem Herzen als Falten auf der Stirn.
Die guten Nonnen, die ihre Berufung überschätzt hatten, merkten mit großer Verwunderung, dass Mademoiselle Rouault ihrem Einfluss zu entgleiten schien. Sie hatten ihr in der Tat so viele Messen, Exerzitien, Novenen und Predigten angedeihen lassen, so gründlich die Ehrfurcht eingetrichtert, die man Heiligen und Märtyrern schuldet, so viele gute Ratschläge erteilt für die
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