Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
Vom Netzwerk:
träumen, und er schaute so traurig, dass sie traurig wurde wie er.
    Niemand kam die zwei besuchen; denn Justin war nach Rouen entwichen, wo er Krämergehilfe wurde, und die Kinder des Pharmazeuten verkehrten immer weniger mit der Kleinen, da Monsieur Homais in Anbetracht des gesellschaftlichen Rangunterschieds keinen Wert darauf legte, weiter vertrauten Umgang zu pflegen.
    Der Blinde, den er mit seiner Salbe nicht hatte heilen können, war auf die Anhöhe von Bois-Guillaume zurückgekehrt, wo er den Reisenden vom missglückten Versuch des Apothekers erzählte, sodass Homais, wenn er in die Stadt fuhr, sich hinter den Vorhängen der Hirondelle versteckte, um ihm nicht zu begegnen. Er hasste ihn; und weil er ihn, im Interesse seines eigenen Rufes, mit aller Gewalt loswerden wollte, brachte er gegen ihn ein verborgenes Geschütz in Stellung, das die Schärfe seiner Intelligenz und die Niedertracht seiner Eitelkeit offenbarte. Sechs Monate hintereinander konnte man im Fanal de Rouen kurze Meldungen wie diese hier lesen:
    »Wer immer sich den fruchtbaren Gefilden der Picardie nähert, hat vermutlich auf der Anhöhe von Bois-Guillaume einen Bettelmann erblickt, dessen Gesicht durch eine grässlichen Wunde entstellt ist. Er belästigt einen, verfolgt einen und erpresst regelrechten Zoll von den Reisenden. Sind wir noch in den schaurigen Zeiten des Mittelalters, als Landstreichern erlaubt war, auf unseren öffentlichen Plätzen Lepra und Skrofeln zu exhibieren, welche sie vom Kreuzzug eingeschleppt hatten?«
    Oder:
    »Trotz der Gesetze gegen Landstreicherei ist die Umgebung unserer großen Städte noch immer verseucht von Lumpengesindel. Man sieht einzelne Gestalten herumstreunen, und das sind vielleicht nicht die ungefährlichsten. Was denken sich unsere Stadtväter?«
    Dann erfand Homais kleine Geschichten:
    »Gestern, auf der Anhöhe von Bois-Guillaume, scheute ein Pferd …« Und es folgte der Bericht über einen Unfall, verursacht durch die Anwesenheit des Blinden.
    Er war so geschickt, dass man ihn einsperrte. Man ließ ihn jedoch wieder laufen. Er machte weiter, und auch Homais machte weiter. Es war ein Kampf. Er trug den Sieg davon; denn man verurteilte seinen Feind zu lebenslanger Internierung in einem Hospiz.
    Durch diesen Erfolg bekam er Auftrieb; und fortan gab es im Bezirk keinen überfahrenen Hund, keine abgebrannte Scheune, keine verprügelte Frau, ohne dass er die Öffentlichkeit darüber unterrichtete, stets geleitet von Liebe zum Fortschritt und Hass auf die Priester. Er stellte Vergleiche an zwischen den Volksschulen und den Ignorantenbrüdern, zum Schaden der letzteren, erinnerte an die Bartholomäusnacht im Zusammenhang mit einer Unterstützung von hundert Franc für die Kirche und verurteilte Missbräuche, schleuderte Geistesblitze. So pflegte er sich auszudrücken. Homais unterminierte; er wurde gefährlich.
    Freilich erstickte er in den engen Grenzen des Journalismus, und bald schon brauchte er das Buch, das Werk! Also verfasste er eine Allgemeine Statistik des Landkreises Yonville, nebst klimatologischen Betrachtungen , und die Statistik führte ihn zur Philosophie. Er beschäftigte sich mit großen Problemen: soziale Frage, sittliche Verbesserung der armen Schichten, Fischzucht, Kautschuk, Eisenbahnen usw. Am Ende schämte er sich, ein Bürger zu sein. Er gab sich Künstlerallüren , er rauchte! Er kaufte zwei schicke Pompadour-Statuetten, als Zierde seines Salons.
    Dabei vernachlässigte er keineswegs die Pharmazeutik; im Gegenteil! er hielt sich über Entdeckungen auf dem laufenden. Er verfolgte den Aufschwung der Schokolade. Als erster brachte er Cho-ca und Revalentia in die Seine-Inférieure. Er begeisterte sich für die hydroelektrischen Ketten von Pulvermacher; er trug selber eine; und abends, wenn er sein Flanellunterhemd auszog, stand Madame Homais ganz geblendet vor der goldenen Spirale, unter der er verschwand, und fühlte ihre Leidenschaft zu diesem Manne wachsen, der fester verschnürt war als ein Skythe und gleißte wie ein Magier.
    Er hatte hübsche Einfälle für Emmas Grabmal. Sein erster Vorschlag war ein Säulenstumpf mit Draperie, hernach kam eine Pyramide, dann ein Vesta-Tempel, eine Art Rotunde … oder auch »ein Trümmerhaufen«. Und bei allen Entwürfen beharrte Homais auf der Trauerweide, denn sie galt ihm als obligates Sinnbild des Grams.
    Charles und er reisten gemeinsam nach Rouen, um sich bei einem Bestattungsunternehmer Grabmäler anzusehen – in Begleitung eines

Weitere Kostenlose Bücher