Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
empörte sich. Er tobte noch lauter als sie. Er hatte sich stark verändert. Sie lief aus dem Haus.
Nun trachtete ein jeder zu profitieren . Mademoiselle Lempereur verlangte Honorar für sechs Monate, obwohl Emma keine einzige Stunde genommen hatte (trotz der beglichenen Rechnung, die sie Bovary gezeigt hatte): das war so abgesprochen zwischen den beiden; der Inhaber des Lesekabinetts verlangte Abonnementgebühr für drei Jahre; Mutter Rolet verlangte Portoauslagen für rund zwanzig Briefe; und als Charles um eine Erklärung bat, war sie so taktvoll zu antworten:
»Oh! ich weiß von nichts! es ging wohl um ihre Geschäfte.«
Bei jeder Schuld, die er bezahlte, meinte Charles, nun sei Schluss. Es kamen neue zutage, in einem fort.
Er wollte Außenstände für lange zurückliegende Krankenbesuche eintreiben. Man zeigte ihm die Briefe, die seine Frau geschickt hatte. Da musste er sich entschuldigen.
Félicité trug nun Madames Kleider; nicht alle, denn einige hatte er behalten, und er brütete in ihrem Ankleidezimmer, wo er sich bei ihnen einschloss; sie hatte ungefähr ihre Figur, oft erlag Charles, wenn er sie von hinten erblickte, einer Sinnestäuschung und rief:
»Oh! bleib doch! bleib!«
Doch zu Pfingsten suchte sie das Weite, entführt von Théodore, und stahl alles, was noch übrig war von der Garderobe.
Etwa um dieselbe Zeit beehrte sich die verwitwete Madame Dupuis, ihm »die Vermählung ihres Sohnes, Monsieur Léon Dupuis, Notar in Yvetot, mit Mademoiselle Léocadie Lebœuf aus Bondeville« anzuzeigen. In den Glückwünschen, die Charles an sie richtete, schrieb er auch den Satz:
»Wie hätte meine arme Frau sich gefreut!«
Eines Tages, als er ziellos durchs Haus irrte, stieg er bis auf den Dachboden, er spürte unter seinem Pantoffel ein Kügelchen aus feinem Papier. Er strich es glatt, und er las: »Seien Sie tapfer, Emma! tapfer! Ich will Sie nicht ins Unglück stürzen.« Es war Rodolphes Brief, auf den Boden zwischen Kisten gefallen, liegengeblieben und nun vom Wind aus der Dachluke hinüber zur Tür geweht. Charles stand reglos und mit offenem Mund an derselben Stelle, wo einst, noch bleicher als er, Emma aus Verzweiflung hatte sterben wollen. Endlich entdeckte er ein kleines R unten auf der zweiten Seite. Wer war das? Ihm kamen Rodolphes häufige Besuche in Erinnerung, sein plötzliches Verschwinden und seine gezwungene Miene bei den zwei oder drei Malen, die er ihn seither getroffen hatte. Durch den ehrerbietigen Ton des Briefes aber ließ er sich täuschen.
»Vielleicht haben sie sich platonisch geliebt«, sagte er sich.
Außerdem war Charles keiner, der den Dingen auf den Grund geht: er scheute vor den Beweisen, und seine zögernde Eifersucht verlor sich in der Unendlichkeit seines Kummers.
Sicher, dachte er, hat man sie angebetet. Ganz bestimmt war sie von allen Männern begehrt worden. Sie dünkte ihn nur umso schöner; und ihn ergriff ein ständiges, wildes Verlangen, das seine Verzweiflung schürte und das keine Grenzen hatte, denn nunmehr war es unstillbar.
Um ihr zu gefallen, als würde sie leben, übernahm er ihre Vorlieben, ihre Geschmäcker; er kaufte sich Lackstiefel, er trug weiße Halsbinden. Er pflegte seinen Schnurrbart nun mit Pomade, ihr gleich unterschrieb er Solawechsel. Sie verdarb ihn noch aus dem Grab.
Er war gezwungen, das Tafelsilber Stück für Stück zu verkaufen, danach verkaufte er die Möbel aus dem Salon. Ein Raum nach dem anderen wurde leer; nur das Zimmer, ihr Zimmer, war geblieben wie einst. Hierher ging Charles stets nach dem Abendessen. Er schob den runden Tisch vor das Feuer, und er rückte ihren Sessel näher. Er setzte sich gegenüber. Die Kerze brannte in einem der vergoldeten Leuchter. Berthe kolorierte neben ihm Drucke.
Er litt, der arme Mann, wenn er sie so schlecht gekleidet sah, ihre Stiefel ohne Schnürsenkel und die Armlöcher ihrer Kittel, aufgerissen bis zu den Hüften, denn die Haushälterin scherte sich nicht. Aber sie war so sanftmütig, so lieb, und ihr Köpfchen neigte sich so anmutig und ließ das dichte blonde Haar auf ihre rosigen Wangen fallen, dass ihn tiefe Freude durchströmte, Glück, vermischt mit Bitterkeit, wie schlechter Wein, der nach Harz schmeckt. Er flickte ihre Spielsachen, bastelte Hampelmänner aus Karton oder stopfte die aufgerissenen Bäuche ihrer Puppen. Wenn sein Blick auf das Nähkästchen fiel, auf ein Band, das herumlag, oder auch nur auf eine Stecknadel, die in eine Tischritze gefallen war, dann begann er zu
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