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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Konsequenzen. Gerade diese romantische Schlusswendung empfindet der Autor als Scheitern. In einem berühmten Brief an Louise Colet analysiert er am 16. Januar 1852 die Gründe dafür: »Es gibt, literarisch gesprochen, zwei deutlich unterschiedene Burschen in mir: der eine ist begeistert von Brüllereien [ gueulades ], von Lyrismus, von hohen Adlerflügen, von allen Wohlklängen des Satzes und den Gipfeln des Gedankens; der andere wühlt und gräbt, so tief er kann, in das Wahre und liebt es, das kleine Faktum ebenso kräftig herauszuarbeiten wie das große, er möchte die Dinge, die er reproduziert, fast materiell spüren lassen; dieser liebt das Lachen und gefällt sich im Animalischen des Menschen. Die Éducation sentimentale war, ohne mein Wissen, ein Versuch, die beiden Tendenzen meines Geistes zu verschmelzen (es wäre leichter gewesen, in einem Buch das Menschliche zu gestalten und in einem anderen den Lyrismus). Ich bin gescheitert.« Flaubert weiß nun, dass er sich zwischen diesen beiden »deutlich unterschiedenen Burschen in mir« zwar nicht entscheiden, sie aber in ein produktives Verhältnis setzen muss.
    Als Flaubert im Januar 1852 seinen zurückblickenden Brief an Louise Colet schreibt, liegt das Desaster seiner größten »Brüllerei« bereits hinter ihm: die Tentation de saint Antoine ( Die Versuchung des heiligen Antonius ). In Maxime Du Camps Bericht ist es als eine der mythischen Szenen vom Anbruch der Moderne in die Literaturgeschichte eingegangen. Maxime Du Camp war vor allem in jungen Jahren mit Flaubert eng befreundet und später ein hochberühmter Schriftsteller und Mitglied der Académie française. Seine Souvenirs littéraires zählen zu den wichtigsten Quellen für die Entstehung der Madame Bovary , doch darf man diesen Erinnerungen, die erst 1882/1883, also nach Flauberts Tod, erschienen, nicht vorbehaltlos in allen Einzelheiten trauen: Der Erzähler Du Camp spitzt seine Geschichten gern anekdotisch zu, er liebt die Pointe und stellt den Übergang vom Antonius zu Madame Bovary deshalb als plötzliches Erweckungserlebnis dar; auch schreibt er durchaus in eigener Sache und ist bemüht, seine einstige, von Überheblichkeit nicht ganz freie Verbesserungswut – und damit auch sein Fehlurteil über Madame Bovary – zu bemänteln. Und schließlich waren inzwischen auch fünfundzwanzig Jahre vergangen, in denen die Erinnerung schwächer geworden war, der Mythos der Madame Bovary jedoch stärker und stärker.
    Flaubert bestimmt seine Gefährten Maxime Du Camp und Louis Bouilhet, den engen Jugendfreund, zu Richtern über das vollendete Opus. Im September 1849 finden sich die beiden in Croisset ein, Flaubert hatte sie gerufen, um ihnen die eben abgeschlossene Versuchung des heiligen Antonius vorzulesen, vier Tage lang, insgesamt zweiunddreißig Stunden, jeweils von Mittag bis vier und von acht Uhr bis Mitternacht. »Wir waren übereingekommen, mit unserer Meinung zurückzuhalten und sie erst auszusprechen, wenn wir das ganze Werk gehört hätten«, beschreibt Du Camp das Verfahren. Das Urteil der literarischen Richter ist gnadenlos: »Nach der letzten Lesung, gegen Mitternacht, schlug Flaubert mit der Faust auf den Tisch und sagte: ›Jetzt zu uns dreien, sagt mir offen, was ihr davon haltet.‹ Bouilhet war schüchtern, doch niemand konnte seine Gedanken entschiedener ausdrücken als er, wenn er nur einmal beschlossen hatte, sie mitzuteilen: ›Wir denken, du solltest das ins Feuer werfen und nie wieder davon reden.‹ Flaubert sprang auf und stieß einen Entsetzensschrei aus. […] Wir sagten zu Flaubert: ›Dein Sujet war verschwommen, du hast es durch deine Art, es zu behandeln, noch verschwommener gemacht […].‹ Flaubert sträubte sich; er las einige Passagen noch einmal vor und sagte: ›Aber es ist schön!‹ Wir antworteten: ›Ja, schön ist es, das bestreiten wir nicht, aber es ist eine innere Schönheit, die außerhalb des Buches zu gar nichts taugt. Ein Buch ist ein Ganzes, bei dem jeder Teil der Gesamtheit dient, und nicht eine Zusammenstellung von Sätzen, die, wie gut auch immer sie gemacht sind, nur einzeln für sich einen Wert haben.‹ Flaubert rief aus: ›Aber der Stil?‹ Wir antworteten: ›Stil und Rhetorik sind zwei verschiedene Dinge, die du verwechselt hast; erinnere dich an das Rezept von La Bruyère: Wenn ihr sagen wollt: Es regnet , dann sagt: Es regnet .‹« Flaubert gibt auf; erst 1874 sollte die inzwischen dritte und endgültige Fassung des Antonius

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