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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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manchmal alle Nickelmünzen aus ihrem Geldbeutel hin, obwohl sie nicht gerade weichherzig war noch besonders empfänglich für die Regungen anderer, wie meistens die Abkömmlinge von Landleuten, die in ihrer Seele immer etwas zurückbehalten von den Schwielen der väterlichen Hände.
    Ende Februar brachte Vater Rouault, zum Andenken an seine Heilung, dem Schwiegersohn höchstpersönlich eine prachtvolle Pute und blieb drei Tage in Tostes. Da Charles sich um seine Kranken kümmerte, leistete ihm Emma Gesellschaft. Er rauchte im Zimmer, spuckte auf die Feuerböcke, hielt Reden über Rapsanbau, Kälber, Kühe und Karnickel oder den Gemeinderat; und als er fort war, schloss sie hinter ihm die Tür mit einem Gefühl der Zufriedenheit, das sie selbst überraschte. Außerdem machte sie kein Geheimnis mehr aus ihrer Verachtung für irgendwas oder irgendwen; und zuweilen äußerte sie höchst merkwürdige Ansichten, verurteilte, was andere lobten, und lobte anrüchige oder unmoralische Dinge: da schaute ihr Mann aus großen Augen.
    Sollte dies Elend denn ewig dauern? Sollte es für sie keinen Ausweg geben? Sie war doch genausoviel wert wie jene, die glücklich lebten! In La Vaubyessard hatte sie Herzoginnen gesehen, die eine plumpere Figur hatten und gewöhnlichere Manieren, und sie verfluchte Gottes Ungerechtigkeit; sie drückte den Kopf gegen die Wände und weinte; sie gierte nach einem stürmischen Leben, nächtlichem Maskentreiben, extravaganten Vergnügungen samt all den Tollheiten, die ihr unbekannt waren, aber gewiss dazugehörten.
    Sie wurde blass und hatte Herzklopfen. Charles verordnete ihr Baldrian und Kampferbäder. Alles, was man probierte, schien sie noch mehr zu reizen.
    An manchen Tagen plapperte sie mit fiebriger Geschwätzigkeit; auf diesen Überschwang folgte ganz plötzlich dumpfe Lähmung, in der sie wortlos, reglos verharrte. Leben flackerte erst wieder auf, wenn sie sich ein Fläschchen Kölnischwasser über die Arme goss.
    Da sie ständig über Tostes klagte, meinte Charles, irgendein örtlicher Einfluss müsse schuld sein an ihrer Krankheit, und weil sich dieser Gedanke in ihm festsetzte, überlegte er ernsthaft, sich anderswo niederzulassen.
    Von nun an trank sie Essig, um abzumagern, bekam einen trockenen Husten und verlor jeglichen Appetit.
    Es fiel Charles nicht leicht, Tostes nach vier Jahren und gerade in dem Augenblick zu verlassen, da er allmählich zu Ansehen kam . Doch wenn es sein musste! Er fuhr mit ihr nach Rouen, zu seinem alten Lehrer. Es war ein Nervenleiden: sie brauchte Luftveränderung.
    Nachdem er sich hier und da umgeschaut hatte, erfuhr Charles, dass es im Bezirk Neufchâtel einen großen Marktflecken gab namens Yonville-l’Abbaye, und der ansässige Arzt, ein polnischer Flüchtling, hatte sich vor einer Woche aus dem Staub gemacht. Also schrieb er an den dortigen Apotheker und fragte, wie hoch die Bevölkerungszahl war, wie weit entfernt der nächste Kollege wohnte, wie viel sein Vorgänger im Jahr verdiente usw.; und als die Antworten zufriedenstellend ausfielen, beschloss er, gegen Frühling umzuziehen, sollte sich Emmas Gesundheitszustand nicht bessern.
    Eines Tages, als sie wegen der bevorstehenden Abreise in einer Schublade räumte, stach ihr etwas in den Finger. Es war ein Draht aus ihrem Hochzeitsstrauß. Die Orangenknospen waren gelb von Staub, und die Satinbänder mit Silberbordüre zerfransten am Rand. Sie warf ihn ins Feuer. Er ging schneller in Flammen auf als trockenes Stroh. Dann lag er wie ein roter Strauch auf der Asche und zerfiel ganz langsam. Sie schaute zu, wie er verbrannte. Die kleinen Pappkartonbeeren platzten, die Messingdrähte kreiselten, die Borte schmolz; und die Papierblüten flatterten, zusammengeschrumpft, an der Rückwand hinauf wie schwarze Falter, entflogen schließlich durch den Kamin.
    Als sie Tostes im März verließen, war Madame Bovary schwanger.

    Anmerkungen

ZWEITER TEIL

I.

    Yonville-l’Abbaye (so genannt wegen eines alten Kapuzinerklosters, von dem nicht einmal mehr Ruinen stehen) ist ein Marktflecken acht Meilen vor Rouen, zwischen der Straße nach Abbeville und der nach Beauvais, am Ende eines Tals, durch das sich die Rieule schlängelt, ein kleiner Fluss, der in die Andelle mündet, zuvor an seinem Unterlauf drei Mühlen angetrieben hat und ein paar Forellen beherbergt, nach denen sonntags die Burschen zum Zeitvertreib angeln.
    Man verlässt die Landstraße in La Boissière und setzt seinen Weg gerade fort bis auf die Anhöhe bei

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